Gesundheitskökonom Wasem findet das von den Krankenversicherern angewandte Verfahren zur Erfassung zu teurer Ärzte unzureichend und bedenklich: es drohe nämlich eine versteckte Rationierung (weil ein Arzt dazu verleitet werden könne, auf eine Behandlung, die er an sich für sinnvoll halte, wegen möglicher finanzieller Konsequenzen zu verzichten).
Schön, Herr Wasem, dass Sie das auch schon bemerken.
Schade, Herr Wasem, dass sich Ihre Ausführungen auf die Schweiz beziehen. Dass wir hier in Deutschland ein ganz ähnliches Verfahren mit ähnlichen Risiken haben, ist Ihnen vermutlich noch gar nicht aufgefallen.
Donnerstag, 2. September 2010
Captain Obvious ist ausgewandert
Sonntag, 9. März 2008
Der Datenkörper der KV
Ein Jahr nach Beginn der Richtgrößenprüfung für das Jahr 2005 erhielt ich am 4.3.2008 ein Übergabeeinschreiben. Absender: die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein. Mit stoischer Gelassenheit öffnete ich den versiegelten Umschlag und las auf Seite 2:
Für die Quartale 1/2005 bis 4/2005 werden keine Maßnahmen beschlossen.
Der Prüfungsausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 22.11.2007 mit dem Verfahren. Er bringt zunächst Verordnungskosten der AOK, die nicht abschließend aufgeklärt werden können, zugunsten des Vertragsarztes in Abzug (2.963,08 € für Fremdkassenfälle und 373,40 € für BKN, was immer das heißen soll). Außerdem werden 5,00 (!) € Portokosten (?) herausgerechnet.
Dann wurden Mehrkosten einer Praxisbesonderheit gegenüber der Vergleichsgruppe wie folgt berechnet:
Verordnungsvolumen des Vertragsarztes bei einer Symbolnummer minus (Falldurchschnitt der Vergleichsgruppe für diese Symbolnummer multipliziert mit der Fallzahl des Vertragsarztes).
Schließlich wurde noch ein indikationsbezogener Mehrbedarf (für Haloperidol, Amisulprid, Ziprasidon und Aripiprazol) berechnet. Praxisbesonderheiten durch abweichende Erkrankungen gegenüber der Arztgruppentypik hingegen lägen nicht vor. Und das bei ungefähr 240% Differenz bei F20.xx. Aber diese Besonderheiten seien ja schon mit der Berücksichtigung der Symbolnummer 90915 abgegolten.
Insgesamt belaufe sich die Summe der Praxisbesonderheiten auf 178.635,48 €, und nach Bereinigung der Verordnungskosten ergebe sich eine Abweichung von 8,47% gegenüber der Richtgrößensumme. Daher erfolge keine Maßnahme.
Gegen diesen Bescheid kann ich jetzt bis zum 4.4.2008 Widerspruch einlegen.
Sonntag, 16. Dezember 2007
Arzneimittelrichtgrößen 2008
Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein und die gesetzlichen Krankenkassen haben für 2008 eine neue Vereinbarung (pdf 280k) über das Arznei- und Verbandmittelausgabevolumen getroffen. Das Ausgabenvolumen für das Kalenderjahr 2008 wurde abschließend auf den Betrag von 2.969.962.369,50 € festgelegt.
Nach der Richtgrößenvereinbarung dürfen Psychiater pro Quartal Medikamente im Wert von 104,00 € (für Allgemeinversicherte) bzw. 135,21 € (für Rentner) verordnen.
Im Durchschnitt sind das 119,61 € pro Patient.
Wenn nun ein Arzt sein für das Kalenderjahr 2008 maßgebliches Richtgrößenvolumen überschritten hat und gleichzeitig den Zielwert für Me-Too-Präparate nicht erreicht hat, dann darf er eine Strafzahlung von bis zu 5% seines Jahreshonorars an die Krankenkassen leisten.
Dazu eine kleine Beispielrechnung mit aktuellen Preisen:
In dem Artikel über eine Kombinationsbehandlung bei Schizophrenien wird - bei Monotherapie mit Clozapin - eine durchschnittliche Tagesdosis von 491 mg/d angegeben. Bei einem Preis von 133,85 € für 100 Tabletten Clozapin à 200 mg ergeben sich daraus Tagestherapiekosten von 3,29 €.
Eine Monotherapie mit 491 mg/d Clozapin kostet also 3,29 € am Tag oder 296,10 € im Quartal.
Bereits das entspricht einer Budgetüberschreitung von 148%.
Kombiniert man nun Clozapin mit Aripiprazol, benötigt man weniger Clozapin (nämlich nur noch 435 mg/d). Die durchschnittliche Aripiprazoldosis wiederum beträgt 20 mg/d. 453 mg/d Clozapin kosten 2,91 €. Bei einem Preis von 704,47 € für 98 Tabletten Aripiprazol à 10 mg ergeben sich daraus Tagestherapiekosten von 14,38 €.
Eine Kombinationstherapie mit 435 mg/d Clozapin + 20 mg/d Aripiprazol kostet also 17,29 € am Tag oder 1.556,10 € im Quartal.
Das entspricht einer Budgetüberschreitung von 1200%.
Das heisst dann im Sinne der impliziten Rationierung durch planwirtschaftliche Vorgaben:
Um zehn Patienten mit einer Clozapin-Monotherapie behandeln zu können, muss ich fünfzehn andere Patienten ohne Medikamente versorgen.
Um zehn Patienten mit einer Clozapin-Aripiprazol-Kombination behandeln zu können (um ihnen beispielsweise Speichelfluss, Sedierung, kognitive Beeinträchtigung zu ersparen), muss ich einhundert andere Patienten ohne Medikamente versorgen.
Aripiprazol wird übrigens als Me-Too-Präparat geführt. Da wäre ich dann Ende 2008 mit rund 4.000 € Strafzahlung dabei.
Dienstag, 23. Oktober 2007
Die Politik belügt den Bürger
Pressemitteilung der Freien Ärzteschaft vom 23.10.2007 zum offenen Brief an Ministerpräsident Wulff
„Dem Land Niedersachsen sind seine kranken Bürger weniger Wert als anderen Bundesländern“, warnen mehrere Verbände in einem offenen Brief an Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff. Denn obwohl die Medikamentenkosten im Bundesdurchschnitt liegen, hat Niedersachsen die niedrigsten Arzneimittelbudgets. „Also müssen Niedersachsens Ärzte ihre Patienten schlechter behandeln als Ärzte in anderen Bundesländern – und wenn sie sich nicht daran halten, werden sie mit Existenz bedrohenden Strafzahlungen der Kassen überzogen“, sagt Martin Grauduszus, Präsident der Freien Ärzteschaft.
820 Ärzte sind von einem so genannten Regress bedroht und sollen insgesamt 106 Millionen € an die Krankenkassen zahlen. Pro Arzt bedeutet das eine durchschnittliche Belastung von 130.000 €. „Allein das Wort ‚Regress’ ist eine bewusste und üble PR-Lüge der Krankenkassen, denn es handelt sich um willkürliche Strafzahlungen: Verschreibt ein Arzt seinem Patienten mehr Medikamente, als die Kasse bezahlen will, drückt diese ihm die Kosten auf“, schimpft Grauduszus. „Die Versorgung niedersächsischer Patienten mit Arzneimitteln in den Jahren 2003 bis 2005 ist Kassen und Landesregierung ganz offensichtlich zu teuer. Mit dieser Kriminalisierung wird versucht, die Verantwortung für die Rationierung im Gesundheitswesen von Politik und Kassen auf die Ärzte abzuwälzen“, sagt Grauduszus.
„Die Politik belügt den Bürger, wenn verkündet wird, jeder Kranke bekomme, was er brauche. Hierfür würden Staat und Kassen Sorge tragen. Wer hierfür tatsächlich Garant ist, zeigen die Regressforderungen in Niedersachsen: Wenn die Kassenmittel nicht reichen, zahlt der Arzt“, heißt es weiter in dem offenen Brief an Wulff: „Für Ärzte und Patienten stellt sich gleichsam die Frage, ob die Milliardenbeiträge der Versicherten wirklich nicht ausreichend sind oder besser: Geht man mit den Versichertengeldern sorgfältig um oder fließt es in die Taschen einer nimmersatten Bürokratie? Sind 250 Kassen mit all ihren üppig dotierten Posten notwendig?“, fragen die Initiative Regressabwehr Niedersachsen, die Freie Ärzteschaft und die Ärztegenossenschaft Nordwest.
„Wir fordern Sie daher auf: Nehmen Sie im Interesse der kranken Menschen, ihrer Ärzte und des Vertrauens der Bürger in ein gerechtes und verfassungstreues Land Niedersachen Ihre Verantwortung wahr und beenden Sie die Existenz bedrohenden Regresse!“, fordern die Verbände.
Die Freie Ärzteschaft e.V. ist der derzeit am schnellsten wachsende Verband niedergelassener Ärzte. Er ist Initiator und Motor der Ärzteproteste des Jahres 2006 und fordert ein wirklich zukunftsfähiges neues Gesundheitswesen.
Ansprechpartner für die Presse: Wieland Dietrich, Freie Ärzteschaft Mobil 0173 5370708
Freie Ärzteschaft Bergstraße 14 40699 Erkrath Tel.: 02104 138 59 75 Fax: 02104 44 97 32
Strafzahlungen: Ärzte schreiben Brandbrief an Wulff (Hamburger Abendblatt 23.10.2007)
Dt. Ärzteblatt 23.10.2007
Donnerstag, 26. April 2007
Mein Datenkörper
So, endlich fertig. Hat mich nur zwei Arbeitstage gekostet :(((
Überprüfung der Arzneiverordnungsweise nach Maßgabe des Prüfverfahrens von Amts wegen bei Überschreitung der Arzneimittelrichtgrößen gem. § 12 i.V. mit Anlage 2 der Prüfvereinbarung (Richtgrößenvereinbarung) in den Quartalen 1/2005-4/2005
Ihr Schreiben vom 19.3.2007 (Eingang: 26.3.2007)
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit o.g. Schreiben baten Sie um Stellungnahme und um Erläuterung meiner Praxisbesonderheiten.
Für 2005 ergibt sich aus den vorgelegten Quartalsbilanzen ein Richtgrößenbudget von 123.563,41 €, ein Verordnungsvolumen von 324.661,73 €, und damit eine Überschreitung um 201.098,32 € (162,75%).
Entgegen §5 der Prüfvereinbarung wurden Praxisbesonderheiten nicht vorab berücksichtigt.
Die psychopharmakologische Behandlung in meiner Praxis unterliegt sowohl dem erforderlichen Sorgfaltsprinzip, als auch dem gebotenen Wirtschaftlichkeitsprinzip. Die Wirtschaftlichkeit meiner Verordnungsweise lässt sich daraus ableiten, dass lediglich 25% meiner Verordnungen Originalpräparate betreffen, die zum Zeitpunkt der Verordnung nicht generisch verfügbar waren. Der Generika- und Reimportanteil liegt bei 75%. Das ausgewiesene Sparpotenzial beträgt 1.755,57 € (entsprechend 0,6% der Gesamtsumme).
Bei der Durchsicht der patientenbezogenen Verordnungsdaten des 1. Quartals 2005 ergaben sich folgende Auffälligkeiten:
Mittwoch, 18. April 2007
Ihr Datenkörper
Weil ich heute sowieso nichts besseres vor hatte, habe ich die CD zur Richtgrößenprüfung eingelegt und mit der Arbeit begonnen. 9 pdf mit insgesamt 12 MB. Da ist Ihr Datenkörper drin, und der sieht so aus:
Schon nach drei Stunden hatte ich das erste Quartal 2005 durchgesehen (mittlerweile war es 21 Uhr) und immerhin schon festgestellt, daß ich - bis auf drei - alle Datenkörper den jeweiligen Personen zuordnen konnte. Dabei fiel mir auf, daß in 49 von 834 Fällen die Apotheken teurere Medikamente abgegeben haben als die, die ich ursprünglich verordnet hatte (nämlich Originale statt Reimporte). Ausschließlich im Hochpreissegment. Das will ich an dieser Stelle weder bewerten, noch kommentieren.
Mal sehen, was ich daraus machen kann. Das kann ich ja dann am Wochenende erledigen. Für heute hab ich die Faxen dicke.
Freitag, 30. März 2007
Sollte bis zu diesem Datum
eine Stellungnahme Ihrerseits nicht vorliegen, wird der Prüfungsausschuss nach Aktenlage entscheiden. "Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein" Ende. Nett. Immerhin haben sie sich auf eine Fristverlängerung eingelassen.
Am 22.3.2007 schlug die "Überprüfung der Arzneiverordnungstätigkeit nach Maßgabe des Prüfverfahrens von Amts wegen bei Überschreiten der Arzneimittelrichtgröße gem. §12 i.V. mit Anlage 2 der Prüfvereinbarung (Richtgrößenvereinbarung) in den Quartalen 1/2005 bis 4/2005" bei mir auf. Nice lyrics. Es dauerte dann noch bis zum 26.3.2007, bis es TNT gelang, die dazu gehörige CD zuzustellen.
Worum geht's? 2005 hätte ich Medikamente im Wert von 123.563,41 € verordnen dürfen. Ich habe aber Medikamente im Wert von 324.661,73 € verordnen müssen. Ergibt eine potenzielle Strafzahlung von 201.098,32 €. Das würde mich, meine Eltern, Kinder und Kindeskinder fundamental ruinieren. Besser, die treten das Erbe gar nicht erst an...
No risk, no fun. Später mehr.
Sie wollen sich den ganzen Sermon reinziehen? Download hier.
Mittwoch, 4. Januar 2006
Demenz bei Kosten auf Platz 4
Wie die Apotheken Umschau berichtet, kostet die Behandlung von Bluthochdruck die Deutschen unter allen Krankheiten mit mehr als acht Milliarden Euro im Jahr das meiste Geld. Arthosen (Gelenkverschleiß) sind mit 7,2 Milliarden Euro die zweitteuerste Erkrankung. Mit 5,7 Milliarden Euro folgt der Schlaganfall, häufig eine Folgekrankheit des Bluthochdrucks.
Auf Platz vier folgt mit 5,6 Mrd. Euro die Demenz, der Gedächtnisverlust im Alter, gefolgt von Diabetes, Depressionen und Rückenschmerzen.
Quelle:
Pressetext.de 4.1.2006
Samstag, 10. Dezember 2005
Ärzte sollen 2006 die Medikamente für ihre Patienten zahlen
Die Drohung der Krankenkassen, im nächsten Jahr 6% der Gesamtvergütung zur Finanzierung der Ausgabensteigerungen bei den Arzneimitteln einzubehalten, ist zwar vom Tisch.
Sollte jedoch im kommenden Jahr das Ausgabenvolumen von 2,68 Milliarden Euro überschritten werden, stehen Honorareinbußen an. Die treffen besonders Ärztinnen und Ärzte, die wenig Generika und viele Me-too-Präparate verordnen. Für jede Fachgruppe sind Zielvorgaben in den beiden Bereichen fixiert worden
Dienstag, 14. Dezember 2004
Probleme mit Vorab-Befreiungen bei Regressen
Die weit verbreitete Praxis der Krankenkassen, Versicherte vorab für 2005 von den Zuzahlungen zu befreien, kann für niedergelassene Ärzte negative Konsequenzen haben.
Bei Arzneimittelregressen wird der Arzt nur mit den Kosten belastet, die der Kasse tatsächlich entstanden sind, Rabatte und Zuzahlungen werden abgezogen. Wenn Patienten sich gegen eine Vorauszahlung in Höhe ihrer individuellen Belastungsgrenze bereits jetzt von den Zuzahlungen befreien lassen, tauchen diese Beträge auf den von den Ärzten in 2005 ausgestellten Rezepten aber nicht mehr auf.
Gerade Ärzte mit vielen zuzahlungsbefreiten Patienten, etwa in sozialen Brennpunkten, könnten dadurch in Schwierigkeiten geraten. Denn es gebe keine Möglichkeit festzustellen, in welchem Ausmaß die Versicherten Zuzahlungen hätten leisten müssen.
Quelle: Ärzte Zeitung, 14.12.2004