So, endlich fertig. Hat mich nur zwei Arbeitstage gekostet :(((
Überprüfung der Arzneiverordnungsweise nach Maßgabe des Prüfverfahrens von Amts wegen bei Überschreitung der Arzneimittelrichtgrößen gem. § 12 i.V. mit Anlage 2 der Prüfvereinbarung (Richtgrößenvereinbarung) in den Quartalen 1/2005-4/2005
Ihr Schreiben vom 19.3.2007 (Eingang: 26.3.2007)
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit o.g. Schreiben baten Sie um Stellungnahme und um Erläuterung meiner Praxisbesonderheiten.
Für 2005 ergibt sich aus den vorgelegten Quartalsbilanzen ein Richtgrößenbudget von 123.563,41 €, ein Verordnungsvolumen von 324.661,73 €, und damit eine Überschreitung um 201.098,32 € (162,75%).
Entgegen §5 der Prüfvereinbarung wurden Praxisbesonderheiten nicht vorab berücksichtigt.
Die psychopharmakologische Behandlung in meiner Praxis unterliegt sowohl dem erforderlichen Sorgfaltsprinzip, als auch dem gebotenen Wirtschaftlichkeitsprinzip. Die Wirtschaftlichkeit meiner Verordnungsweise lässt sich daraus ableiten, dass lediglich 25% meiner Verordnungen Originalpräparate betreffen, die zum Zeitpunkt der Verordnung nicht generisch verfügbar waren. Der Generika- und Reimportanteil liegt bei 75%. Das ausgewiesene Sparpotenzial beträgt 1.755,57 € (entsprechend 0,6% der Gesamtsumme).
Bei der Durchsicht der patientenbezogenen Verordnungsdaten des 1. Quartals 2005 ergaben sich folgende Auffälligkeiten:
3 von insgesamt 876 Verordnungsblättern (0,34%) mit einem Wert von insgesamt 909,49 € (1,31% der Quartalssumme von 69.580,40 €) hatten keine erkennbare Zuordnung zu meiner Praxis (fehlende bzw. fehlerhafte Versicherungsnummer). In 49 Fällen (5,59%) wurden von der Apotheke nicht die von mir verordneten Präparate (Reimporte und Generika), sondern Originalpräparate abgegeben. Die Substitution erfolgte ausschließlich im Hochpreissegment. Der dadurch erhöhte Ressourcenverbrauch ist nicht meiner Praxis anzulasten.
Es ist davon auszugehen, dass diese systematischen Fehler auch in den übrigen Quartalen nachweisbar sind. Eine Einzelfallprüfung war angesichts der verfügbaren Zeit nicht mit vertretbarem Aufwand möglich.
2005 erhöhten sich die Arzneimittelpreise um 10,2%. Die Preiserhöhung betrifft gerade die umsatzstärksten Präparate, die ich in meiner Praxis verordnet habe: für Risperidon beispielsweise ergeben sich dadurch Mehrkosten von 8.316 € (2,6% des Verordnungsvolumens), für Olanzapin von 4.204 € (1,3%). Dieser Struktureffekt ist nicht in die Vereinbarung der Richtgrößen eingeflossen und daher meiner Praxis nicht anzulasten.
Die Besonderheiten meiner Praxis lassen sich wie folgt erläutern:
Im Rahmen zahlreicher Wirtschaftlichkeitsprüfungen zur Medikamentenverordnung (1995, 1999, 2000, 2001) wurden regelmäßig Praxisbesonderheiten (überdurchschnittliche Anzahl von Betreuungen in beschützenden Einrichtungen) zuerkannt. Die Grundlagen dieser Feststellung treffen auch für das Jahr 2005 zu.
In meiner Praxis werden überwiegend chronisch und mehrfach Erkrankte behandelt. Der damit verbundene, erhöhte Aufwand schlägt sich in der Fallzahl nieder: 2005 wurden durchschnittlich 334 budgetrelevante Behandlungsfälle pro Quartal erfasst, 10% weniger als in der Vergleichsgruppe (364) im gleichen Zeitraum (Angaben aus den Quartalsabrechnungen der KVNO). Die niedrigere Fallzahl führt zwangsläufig zu einem niedrigeren Richtgrößenbudget, bei gleichzeitig höherer Auslastung des Budgets (wegen der Schwere der Erkrankungen und wegen fehlender Möglichkeiten zum statistischen Ausgleich durch „Verdünnerscheine“).
Schwere und Chronizität der Erkrankungen lassen sich indirekt daraus ableiten, dass 119 (29%) meiner Patienten in Wohnheimen, betreutem Wohnen und Tagesstätte komplementär betreut werden mussten und dass insgesamt 115 (28%) unter gesetzlicher Betreuung standen.
Der Schwerpunkt meiner Praxis liegt auf der Behandlung schizophrener und bipolarer affektiver Erkrankungen. Im Quartalsdurchschnitt 2005 hatten 197 (48%) von 409 Patienten eine Diagnose aus dem Kapitel F2 ICD10 (Schizophrenie), danach folgten F4 (20%) und F3 (16%). Der Anteil schizophren Erkrankter ist dabei seit 1999 (31%) deutlich gestiegen. In durchschnittlichen Nervenarztpraxen lagen Diagnosen aus dem schizophrenen Formenkreis auf dem 7. Rang (nach ZI Köln 2005), während Diagnosen zu F3 auf Rang 1 lagen.
Aus dem überdurchschnittlich hohen Anteil schizophrener Erkrankungen folgt, dass die Kosten der medikamentösen Behandlung fast ausschließlich durch die Behandlung mit Neuroleptika bedingt sind. Hier weisen die Kostenaufstellungen nach Indikationen (ATC 2.Stufe) 2005 eine durchschnittliche Abweichung zur Fachgruppe von 424% aus. In meiner Praxis werden demnach etwa vier Mal so viele psychotisch erkrankte Menschen behandelt wie in der durchschnittlichen Nervenarztpraxis.
Von 4186 Verordnungen insgesamt entfielen 2082 (50%%) auf die Verordnung von Neuroleptika. Von diesen 2082 entfielen 926 (44% der Gesamtverordnungen) auf Atypika. Demgegenüber hatten Atypika 2005 in der Durchschnittspraxis einen Verordnungsanteil von nur 33% („Psychopharmaka-Verordnungen: Ergebnisse und Kommentare zum Arzneiverordnungsreport 2005.“ J. Fritze; DGPPN 22.6.2006).
17 Patienten (4%) beanspruchten bereits 25% des Verordnungsvolumens. Exemplarisch sind im Anhang die 10 aufwändigsten Behandlungen (16% des Verordnungsvolumens) dokumentiert, aus denen Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeitsüberlegungen im individuellen Behandlungsfall hervorgehen. Weitere Einzelfalldarstellungen können bei Bedarf angefordert werden.
Gegen die Verordnung älterer Medikamente sprechen generelle und im Einzelfall begründete Argumente, so dass ich, unter Beachtung des in SGB und BGB geforderten Sorgfaltsprinzips, und unter Beachtung von Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und ausreichendem Behandlungsangebot, keine Alternative zur Verordnung atypischer Neuroleptika hatte. Diese Haltung wird von der DGPPN unterstützt („Änderung der Arzneimittel-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen bezüglich atypischer Neuroleptika Stellungnahme der DGPPN und der AGNP.“ J. Fritze, M. Schmauß, F. Holsboer; 7.4.2003). Die Anwendung atypischer Neuroleptika als Mittel der ersten Wahl wird auch vom britischen National Institute for Clinical Excellence empfohlen, mit Hinweis auf die damit verbundene Verlagerung der Behandlung in den ambulanten Sektor und die daraus folgende, durchschnittliche Kostenersparnis von 750 - 15000 € pro Person und Jahr („Guidance on the use of newer (atypical) antipsychotic drugs for the treatment of schizophrenia.“ NICE; Juni 2002).
Korrekturberechnung:
2005 habe ich 155 Patienten atypische Neuroleptika (mit Symbolziffer 90915) im Wert von 182.291,00 € verordnet. Nach Abzug der 182.291,00 € vom Verordnungsvolumen (324.661,73 €) verbleiben 142.370,73 €. Bei einer fiktiven Substitution mit Haloperidol (120,54 € durchschnittliche Kosten pro Fall lt. Verordnungsstatistik) ergibt sich ein Ersatzwert von 18.683,70 € und damit ein korrigiertes Verordnungsvolumen von 161.054,43 €. Nach Abzug der Richtgrößensumme (123.563,41 €) verbleibt eine Abweichung von 37.491,02 € (30,34%).
Nimmt man die atypischen Neuroleptika ohne Symbolziffer hinzu (43 Patienten, 40.238,00 €), verbleibt eine Abweichung von 2.436,24 € (1,97%) zur Richtgrößensumme.
Ich gehe davon aus, dass die vorgelegten Daten die Wirtschaftlichkeit, Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer ausreichenden Schizophreniebehandlung, unter Beachtung des Sorgfaltsprinzips, mit Erschließung der verfügbaren Wirtschaftlichkeitsreserven, belegen, und dass die Überschreitung der bedarfsunabhängig kalkulierten Richtgrößenvorgabe unvermeidlich war.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. E. Proll
Arzt für Psychiatrie / Psychotherapie