Ambulante Versorgung von Demenzkranken
Die Anzahl Demenzkranker wird sich von heute einer Million auf über zwei Millionen im Jahr 2020 erhöhen. Damit wird die Demenz zu einer "Volkskrankheit".
Schon 2003 fielen erhebliche Ausgaben der Pflegeversicherung an: in der privaten Pflegepflichtversicherung verursachten Demenzen den Pflegebedarf in Pflegestufe I bei 17 %, in Pflegestufe II bei 23 %, in Pflegestufe III und bei den Härtefällen jeweils bei 36 %. In der gesetzlichen Versicherung liegen die Zahlen bei 14,4 %, 16,9 % und 13,2 % in Pflegestufe I-III.Angehörige tragen etwa 70 % der Last für die Betreuung von Demenzkranken. Zwischen 30 und 50 % der betreuenden Angehörigen erkranken dadurch selbst körperlich oder seelisch.
Die Ausgangssituation ist der "Verdacht auf eine Demenz". Im hausärztlichen Bereich handelt es sich oftmals um eine "Suchdiagnose": Patienten fallen z.B. im Praxisablauf durch vermehrtes Vergessen auf oder werden von ihren Angehörigen gebracht oder sind in anderem Kontext "verdächtig".
Zur Basisuntersuchung gehören:
Anamnese und Fremdanamnese körperliche und neurologische Untersuchung psychopathologischen Befund Überprüfung der Medikation, eventuellen Medikamenten- bzw. Substanzmissbrauches und -Interaktionen Laboruntersuchungen
Mindestens sollten entzündliche Erkrankungen, Diabetes Mellitus, Elektrolytstörungen und metabolische Enzephalopathien als Ursachen sekundärer Demenzen ausgeschlossen werden. Eine TPHA-Testung, die TSH-Bestimmung und die Untersuchung von Vitamin B12 sind zusätzlich sinnvoll.
Empfohlene Screeningverfahren :
Mini-Mental-Status-Test (MMSE; weit verbreitet, für alle Altersgruppen normiert, wenig falsch positive Ergebnisse) DEMTECT (erfasst auch Frühformen eher) TFDD (Test zur Früherkennung der Demenz mit Depressionsabgrenzung Der Uhrenzeichentest (UZT) sollte nicht allein eingesetzt werden, er erhöht aber in Kombination mit anderen Tests die Sensitivität des Screenings Geriatrische Depressionsskala (GDS; bei Anwendung des TFDD wohl verzichtbar)
Erhärtet sich der Verdacht auf eine Demenz nicht, sollte zur Sicherheit eine Verlaufsuntersuchung nach sechs bis zwölf Monaten erfolgen.
Findet sich ein Hinweis auf eine sekundäre Demenz, sollte zunächst untersucht werden, ob die Befunde die Symptome erklären können oder nicht.
Können sie die Symptome nicht erklären oder tritt nach einer spezifischen Behandlung keine Besserung auf, liegt ein Verdacht auf eine primäre Demenzerkrankung nahe.
84 % der Älteren besuchen regelmäßig den Hausarzt, aber nur 4 % einen Nervenarzt. Rechnet man die Anzahl Demenzkranker auf die Anzahl niedergelassener Fachärzte um, dann müsste jeder Facharzt mehr als 200 Demenzkranke und ihre Angehörigen betreuen, was faktisch unmöglich ist.
Nur die Fälle, die möglicherweise nicht an einer Alzheimer-Demenz erkrankt sind, sollten dem Facharzt zugewiesen werden:
Patienten jünger als 70 Jahre akuter Krankheitsbeginn atypischer Verlauf unklare Differentialdiagnosen (zusätzliche neurologische Symptome, insbesondere Gangataxie oder Inkontinenz im frühen Krankheitsstadium, Insulte oder auch Schädel-Hirn-Traumata in der Vorgeschichte, Verdacht auf hereditäre Erkrankungen)
Bei den meisten Patienten mit "typischer" Symptomatik der Alzheimererkrankung kann der Hausarzt mit der Behandlung beginnen.
Bei depressiver Symptomatik sollte antidepressiv behandelt werden, dabei sollte kein anticholinerges Medikament eingesetzt werden. Die antidementive Behandlung sollte frühestmöglich beginnen und in ihrer Wirksamkeit nach drei bis sechs Monaten kontrolliert und dokumentiert werden. Finden sich Hinweise auf eine sichere Wirkung, kann die Weiterbehandlung durchgeführt werden. Zeigt sich keine sichere Wirkung, treten psychische oder neurologische Symptome neu auf oder findet sich eine unerwartete Progredienz, sollte zum Facharzt überwiesen werden.
Zu empfehlen sind ausserdem die Vermittlung sozialer Hilfen und das Angebot von Angehörigengruppen.
Der hauptbehandelnde Arzt sollte kontinuierlich die Gesundheit der Pflegepersonen überprüfen. Findet sich eine bedeutsame psychische Symptomatik, sollte diese zusammen mit bzw. durch den Facharzt behandelt werden. Ist eine Entlastung nicht möglich oder findet sich eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder treten auch auf Seiten des Patienten Symptome auf, die Prädiktoren für eine Heimeinweisung sind, so ist nicht nur eine Entlastung der pflegenden Angehörigen angezeigt bzw. die Heimeinweisung vorzubereiten, sondern auch (noch einmal) eine fachärztliche Untersuchung zu veranlassen.
Quelle und Volltext:
Gabriela Stoppe et al: Ambulante Versorgung von Demenzkranken (psychoneuro 2004; 30: 489-496)
Kommentare
Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt