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Diese Politik macht krank - Analyse des „Wettbewerbsstärkungsgesetzes“ 2007

Die Veränderungen im Sozialgesetzbuch V im Jahre 2007 durch das „Wettbewerbsstärkungsgesetz“ (GKV-WSG) werden unser Gesundheitswesen dramatisch umpflügen. Nicht nur die „Volksvertreter“ hatten im Februar 2007 dieses Gesetz weder gelesen noch verstanden. Die 555 Seiten waren in einer bürokratisch-herrschaftlichen, unverständlichen Sprache verfasst, so dass auch fast 2 Jahre später Ärzte und Bürger die Folgen nicht abschätzen können.

Es besteht die Notwendigkeit einer verständlichen Analyse. Diese wird uns erleichtert durch einen Kommentar zum Gesetz, verfasst von einem „Vater des Gesetzes“ Dr. Ulrich Orlowski, Jurist, Ministerialdirigent im Bundesministerium für Gesundheit, seit 1996 Leiter der Abteilung Krankenversicherung und an allen Gesundheitsreformen wesentlich beteiligt.

Lobeshymnen von Frau Schmidt

Ministerin Schmidt am 29.8.2008 zum Beschluss des „Erweiterten Bewertungsausschusses“ zur ärztlichen Vergütungsreform:

„Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte erhalten nun ein kalkulierbares, gerechteres und auch transparentes Honorarsystem. ...

Das Ergebnis zur Vergütung stellt eine kräftige Erhöhung der Honorare für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland dar. Wir erwarten, dass sich dies durchgängig in einer qualitativ hohen und guten Versorgung für die Versicherten niederschlägt. Die Beitragszahler haben überall in Deutschland einen Anspruch darauf. Mit der Honorierung der Vertragsärzte in Euro und Cent muss auch eine unterschiedliche Servicequalität in den Praxen für GKV-Versicherte und PKV-Versicherte der Vergangenheit angehören. Hinweise seitens der Ärzteschaft auf Budgets entbehren nun jeder Grundlage. Mit der Neuordnung wird die Budgetierung aufgehoben. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um die Qualität der Versorgung weiterzuentwickeln und entstehende Versorgungslücken durch Honorarzuschläge in Zukunft zu schließen.“

(Pressemitteilung; BMG, zitiert änd 29.8.2008)

Wie sieht im Gegensatz dazu die Realität aus?

Bessere Versorgung der Versicherten durch die Gesundheitsreform???

Ein Kernpunkt der Reform ist das verbesserte Eindringen der Klinikkonzerne in die ambulante Versorgung. Dieses ist im § 116 SGBV geregelt. Es war schon im vorherigen Gesetz (GMG) von 2004 geregelt, konnte aber nicht in gewünschtem Maße in die Tat umgesetzt werden, da die „Bereinigung“ des „KV-Topfes“ mit ständig floatenden Punktewerten nicht möglich war. Jetzt ist es möglich mit einem bundeseinheitlichen Punktwert!!! Zu den sogenannten Katalogkrankheiten, die in Zukunft von Klinikambulanzen behandelt werden sollen, zählen HIV, Multiple Sklerose und die gesamte Onkologie angeführt. Wir sehen, die gesamte Onkologie ist ein sehr dehnbarer Begriff und ein umfassender Teil aller schweren Krankheiten. Nach Einführung der Fallpauschalen in den Krankenhäusern durch die Politik hat sich hier im ambulanten Sektor ein sehr gut funktionierendes System onkologischer Therapien und Kontrollen in Spezialpraxen, Facharztpraxen und Hausarztpraxen entwickelt, welches jetzt zerschlagen werden soll !Es ist kostengünstig, effizient und persönlich! Die Vergütung soll zukünftig nach den gleichen Punktwerten in Klinik und Praxis erfolgen, da aber die Klinikambulanzen meistens ihre Investitionen aus Steuer oder Kassengeldern finanziert bekommen, gibt es hier sehr ungleiche Spieße, die zu Pleiten der vorhandenen Praxen führen werden. Hier wird bestehende und funktionierende Versorgung zerschlagen!

Kalkulierbares, gerechtes und transparentes Honorarsystem???

2006 bezahlten die gesetzlichen Krankenkassen 22,2, Mrd. Euro an 17 KV en, welche dieses Geld an 130000 zugelassene und ermächtigte Ärzte nach regionalen Honorarverteilungsmaßstäben verteilt haben .Die Kassen bezahlen immer noch nach den historischen „Kopfpauschalen“ von 1991! (z.B. die Barmer 134 Euro, die DAK 128 Euro, die BKK Esso 98 Euro pro Quartal und Versicherte in 2004) Die Zahl der Arzt-Patientenkontakte ist europaweit spitzenmäßig mit Arztkontakten jedes Versicherten 16,3 pro Jahr.

Die GKV Ausgaben betrugen 2006 für die gesamte ambulante Medizin 16,04%, für Arzneimittel 18,69 %, für die Krankenhausbehandlung 36,28%.Wir sehen also, die ambulante Medizin, welche über 90% der Krankheitsfälle versorgt, kann kein Kostentreiber sein, der Anteil an den Gesamtausgaben ist kontinuierlich und dramatisch gesunken in den letzten 10 Jahren. Orlowski geht in seinem Buch auch auf die Kritik der Ärzte ein, diese würden selbst das Honorarsystem als ungerecht, ineffizient und intransparent empfinden“. Also, auf die Forderung: Euro statt Gummipunkte“ der großen Ärzteproteste aus dem Jahr 2006 sollte eingegangen werden.

Also, was tun? Man reagierte in 2 Schritten:

  1. Einführung von kompletten Pauschalen für Haus und Fachärzte mit dem EBM 2008,
  2. Einführung eines bundeseinheitlichen Punktwertes ab 2009.

Pauschalen für Haus und Fachärzte - Stichwortgeber Hausärzteverband

Mit dem EBM 2008 wurden zunächst hausärztliche Komplettpauschalen eingeführt. Die Fachärzte sollten Grund und Zusatzpauschalen ab 2008 bekommen (noch nicht überall umgesetzt) und ab 2001 diagnosebezogenen fachärztliche Fallpauschalen.

Dazu Orlowski:

„Mit dieser Konzeption der Versichertenpauschale wird eine der zentralen Forderungen des Hausärzteverbandes umgesetzt; die damit verbundene Forderung nach einer Dotierung dieser Quartalspauschale mit 75 Euro (derzeit Durchschnitt 43 Euro bundesweit)...ist allerdings weder berechtigt noch zu realisieren, da sie zu Mehrausgaben ...von 8 Mrd. Euro geführt hätte. (Orlowski S. 57) Man sieht, wohin die Appeasementpolitik des Hausärzteverbandes geführt hat. Leistungs- und versichertenfeindliche Pauschalen ohne Gegenwert.

Schöne neue Vertragswelt?

Orlowski geht davon aus, dass „das neue Vergütungssystem nur zu einem Erfolg wird, wenn die Kassen ab 1.4.2007 dazu in der Lage sind, ihre Versicherten durch attraktive Angebote in die hausarztzentrierte Versorgung einzubeziehen“(S. 60).

Die schöne neue Vertragswelt wird aber an anderer Stelle realistischerweise eingeschränkt wenn er schreibt: „Ab 2009 dürfte die Bereitschaft der Kassen, derartige Verträge mit nur zusätzlichen Vergütungen abzuschließen, ohne dafür Struktur und Effizienzvorteile zu vereinbaren, zurückgehen, da wegen der Pauschalierung der risikoadjustierten Zuweisungen aus dem Fonds...derartige Zusatzhonorare letztendlich aus Zusatzbeiträgen der Krankenkassen zu finanzieren sein werden.“ (Orlowski S. 106)

Genau das ist es, was wir im Moment sehen. Die Hausarztverträge werden flächendeckend gekündigt, z.B. von den Ersatzkassen, weil die Kassen ansonsten im nächsten Jahr Zusatzbeiträge erheben müssen und ihnen daraufhin die Versicherten weglaufen würden. Der Barmer Vertrag ist ja schon weg, da er eine Mogelpackung ohne „IV“-Inhalt war.

Keine Budgets mehr?

Demnächst wird es „Regelleistungsvolumina“ für jeden Arzt und jede Arztpraxis geben. Diese werden fallzahlbezogen für jeden Arzt sein, orientiert an der Fallzahl des Vorjahresquartals für den entsprechenden Arzt. Der Bewertungsausschuss in Berlin legt Abstaffelungszonen und Grenzen bei den Fallzahlen fest, oberhalb derer nur noch degressiv vergütet wird, s.u.

Das sei auch deshalb gerecht, so Orlowski, weil ja oberhalb der Grenzen sich die Kosten schon amortisiert hätten und nur noch Gewinn erwirtschaftet werde. Welcher anderen Berufsgruppe würde man einen Strick daraus drehen, dass sie in kleinen, hocheffizienten Einheiten wirtschaftlich arbeiten muss?? Und warum wirft man den privaten Klinikketten nicht vor, dass sie Milliardenrenditen mit den Geldern der GKV Versicherten künftig auch im ambulanten Sektor erwirtschaften wollen? Und wie sieht es mit der Steuerfinanzierung der Klinikzentren aus? Die dürften dann eigentlich oberhalb von 30% nix mehr vergütet bekommen, das wäre dann logisch.

In diesem neuen BUDGET gibt es dann nach dem neuen Gesetz noch „besonders förderungswürdige Leistungen“ die „im Budget“ besonders honoriert werden sollen.

Besonders förderungswürdig?

Bestimmte Leistungen bekommen einen Steigerungsfaktor für den ansonsten bundesweit einheitlichen „Orientierungspunktwert“ von 3,5 Cent, also der Punktwert ist dann z.B. 3,5 mal 1,29 als „Steigerungsfaktor“ für Psychotherapie:

  1. Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten 1,3201
  2. Akupunktur 1,1714
  3. Polysomnographie 1,2043
  4. MRT- Angiographie 1,1687
  5. Antrags- und genehmigungspflichtige Leistungen
  6. der Psychotherapie gem. Abschnitt 35.2 1,2923

zit. aus dem Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 29.8.2008

Was kann regional noch extra verhandelt werden mit den Kassen?

  1. Hausarztverträge nach §73 b, Facharztverträge nach §73c,DMPs, IV Verträge,
  2. Vergütungen für regional vereinbarte, nicht im EBM enthaltene Leistungen (z.B. Methadonbehandlung)
  3. Belegärztliche (kurativ-stationäre) Leistungen (Leistungen des Kapitels 36, die
  4. Gebührenordnungspositionen 13311, 17370 und Geburtshilfe),
  5. Früherkennungsuntersuchung U 7a,
  6. Hautkrebsscreening,
  7. Durchführung von Vakuumstanzbiopsien,
  8. Strahlentherapie,
  9. Phototherapeutische Keratektomie,
  10. Leistungen der künstlichen Befruchtung.

Wie wird in Zukunft das „arztgruppenspezifische Regelleistungsvolumen“ festgelegt?

Jeder Arzt einer Arztgruppe erhält ein arztgruppenspezifisches Regelleistungsvolumen. Die Höhe des Regelleistungsvolumens eines Arztes ergibt sich aus einem von der KV errechneten Fallwert, der für jede Arztgruppe unterschiedlich ist, multipliziert mit der Anzahl der Fälle, die der Arzt im entsprechenden Vorjahresquartal behandelt hat. Wenn diese Fallzahl größer ist als die Fallzahl des Durchschnitts wird das Regelleistungsvolumen gemindert nach folgenden Kriterien:

  • „um 25 % für Fälle über 150 % bis 170 % der durchschnittlichen Fallzahl der Arztgruppe,
  • um 50 % für Fälle über 170 % bis 200 % der durchschnittlichen Fallzahl der Arztgruppe,
  • um 75 % für Fälle über 200 % der durchschnittlichen Fallzahl der Arztgruppe.“

(zit. aus dem Beschluss des Bewertungsausschusses vom 29.8.2008)

Die Intention des Gesetzgebers und die Ankündigung des Ministeriums ist eigentlich gewesen, dass in Zukunft jede EBM Leistung in allen Regionen der BRD in allen Arztpraxen das gleiche Geld erbringt. Das ist so jetzt nicht eingeführt worden, da man im Laufe der Zeit m.E. feststellte, dass das Gesamtsystem dann zusammenbrechen würde, auch die noch vorhandene Bedeutung der KV en als regionale Regelungsbehörde wurde erkannt.

Also kam man im EBA zu den vorliegenden Ergebnissen. Der Punktwert von 3,5 Cent ist zwar überall gleich bundesweit, aber die Fallpunktzahlen zum Beispiel eines Hausarztes in Bayern oder in Hamburg werden weiterhin verschieden sein.

Wie kann man sein „Budget auffüllen“?

Welche zusätzlichen Leistungen dürfen Hausärzte erbringen, um ihr Budget „aufzufüllen“??

Wenn ein Hausarzt das oben genannte „Regelleistungsvolumen“ nicht ausfüllt, darf er dieses mit der Erbringung von folgenden Zusatzleistungen tun:

Erweiterter Bewertungsausschuss nach § 87 Abs. 4 SGB V - 7. Sitzung, 27./28. August 2008

  1. Sonographie ergibt 3,5 Euro pro Patient im Quartal
  2. Psychosomatik 3,00
  3. Prokto-/Rektoskopie 1,00
  4. Kleinchirurgie 1,50
  5. Langzeit-EKG 1,00
  6. Langzeit-Blutdruckmessung 1,00
  7. Spirometrie 1,00
  8. Ergometrie 1,50
  9. Chirotherapie 1,00

Wie schafft man Arztpraxen ab?

Wir haben vor Kurzem wieder von Herrn Lauterbach gehört, die völlige Überversorgung mit Fachärzten müsse aufhören. Wer das nur für Wahlkampfpropaganda mit festem Blick auf die Bundestagswahl 2009 hält, lese bitte das Gesetz von 2007, hier ist alles schon genau geplant.

„Mit der Einführung der besonderen Orientierungspunktwerte für Unter und Überversorgung ab 2011 wird über das Schicksal der Bedarfsplanung...neu zu entscheiden sein“(Orlowski)

„Das heißt, dass die Vergütung z.B. der fachärztlichen Internisten in einer überversorgten Region vom Bewertungsausschuss der bundeseinheitliche Orientierungswert für die Vergütung von internistischen Leistungen im Regelfall ab 2011 so stark abgesenkt werden muss, dass steuernde Wirkung auf das Niederlassungsverhalten der Vertragsärzte ausgeht; Praxisübergabe nicht mehr attraktiv ist und es daher allmählich zu einem Abbau der Überversorgung kommen kann.“

(Orlowski Seite 68. Das schreibt der „Vater“ des Gesetzes!)

Die Kapitalgesellschaften übernehmen!

Die Kapitalgesellschaften übernehmen dann die ambulante ärztliche Versorgung, Rhön, Asklepios, Helios, und Sana, und stellen Ärzte ein. Vor allem die Facharztgebiete in den Metropolen, Gastroenterologie, Kardiologie, Onkologie. Aber Hausärzte als Angestellte werden auch gebraucht als Einweiser für die Klinikketten, die ab 2009 völlig auf DRG Bezahlung umgestellt werden. Und man wird uns als Hausärzte natürlich noch weiter brauchen, als Treppenterrier für die Hausbesuche, als Ausputzer für die abgeschafften Fachärzte, deren Arbeit ja irgendeiner übernehmen muss, als Palliativärzte ohne die entsprechende Bezahlung, na da findet sich ja noch das Eine oder Andere. Zusammen mit Schwester Agnes und IT Unterstützung, Telemedizin,...

Kalkulierbares Honorar mit dem bundeseinheitlichen Punktwert von 3,5 Cent?

Das allerdings scheint zu stimmen, im Moment bricht zwar für die 130 000 Haus und Fachärzte die große Unsicherheit aus, weil diese Vergütungsreform solch dramatische Verwerfungen in 2009 hervorrufen wird, dass niemand weiß, ob seine Praxis überleben wird, aber das sind ja Peanuts. Hat die große „Praxisbereinigung“ erst einmal stattgefunden, kann man tatsächlich in Zukunft nachhaltig wissen, dass es nur einen Punktwert von 3,5 Eurocent für alle EBM 2008 Leistungen gibt, egal wie „nachhaltig“ damit die Praxis wirtschaftlich aus dem Lot geworfen wird.

Dieser Punktwert wurde jetzt vom EBA festgelegt. Abweichungsgründe von diesem Punktwert gibt es eigentlich keine. Traditionell höhere Einkommen in einer Region sind zumindest kein Grund.

Kräftige Erhöhung der Honorare?

Die gesamte Vergütung für das Folgejahr wird jetzt immer im Herbst des Vorjahres festgelegt. Die erste „Bildung“ haben wir Ende August gesehen, nach Meinung der KBV 2,7 Milliarden mehr.

In Wirklichkeit sind es auch nach Aussagen der KBV nur 2,65. Davon ist abzuziehen

  1. die bisherige Anbindung an die jährliche Lohnsummensteigerung fällt ersatzlos weg, das macht für die Jahre 2008 und 2009 eine Summe von vielen hundert Millionen Euro.
  2. abzuziehen ist das gesamte „Volumen“ der schon gekündigten oder noch zu kündigenden Sonderverträge durch die Kassen(Hausarztverträge, DMP, IV Verträge...)
  3. abzuziehen sind die Kosten für neue Leistungen, die im Budget versenkt wurden, Hautkrebsvorsorge und eine neue Vorsorgeuntersuchung für Kinder.
  4. Insgesamt ist festzustellen, dass grade durch die Kündigungen der Hausarztverträge, des Barmer Vertrages und der DMP den angeblich zu fördernden Hausarztpraxen erst mal in vielen Fällen schlagartig ein großer Teil ihrer Einnahmen wegbrechen wird, auch so vernichtet man Arztpraxen.

„Morbidität wandert zu den Kassen“ Der große Bluff

„Eine generelle Morbiditätserfassung zur Bildung der ersten morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen findet also zunächst nicht statt (Orlowski S. 77) Und warum nicht? Weil man von Seiten unserer Politbürokratie aus noch nicht in der Lage war, alle Versicherten rechtzeitig in diagnoseabhängige Risikoklassen einzuteilen, wird die Morbidität im Moment nur nach Alter „gemessen“. Aber die Morbidität soll ja in Zukunft eine große Rolle spielen.“Der Bundesausschuss hat den Auftrag, bis 30.6.2009 diagnosebezogene Risikoklassen für Versicherte mit vergleichbarem Behandlungsbedarf nach einem ... Klassifikationsverfahren zu bilden (§87) Grundlage der Klassifikation sind vertragsärztliche Diagnosen und Menge der Leistungen (S. 78)

Zentralistischer Kontrollwahn!

Aus diesem Grund hat das Bundesversicherungsamt BVA in Bonn jetzt schon für 4 Quartale alle Diagnosen, alle Behandlungsdaten, alle Arzneimittel und alle verursachten Kosten versichertenbezogen und kassenbezogen gespeichert. Im Keller des BVA in Bonn . 2,5 Milliarden Datensätze. Sozusagen, ein Überblick über fast die gesamte Bevölkerung (70 Millionen Einwohner) Als Vorbereitung für die Einführung des Gesundheitsfonds in 2009. (Die Welt 24.9.2008) Der zentralistische Kontrollwahn in Reinkultur. Big Brother is watching you!!! Was sagen unsere Datenschützer dazu???

Das Ende der „Selbstverwaltung“ im Gesundheitswesen?

Das neue Gesetz enthält massive strukturelle Veränderungen der bisherigen „Selbstverwaltung“ im Gesundheitswesen. Eine Veränderung die weder in der inner noch außerärztlichen Öffentlichkeit bisher wirklich aufgefallen ist.

Der tiefere Sinn der „Eurovergütung“ hat sich ja schon herausgestellt. Der einheitliche Punktewert musste eingeführt werden, damit Kassen und Regierung in lang gehegtes Ziel in die Tat umsetzen können: Das Kollektivvertragssystem von oben aufzubrechen und mit Hilfe von Selektivverträgen das“ Monopol der Ärzte“(Zitat aus der FAZ zum Thema) zu beseitigen und die KV en langsam aber sicher abzuschaffen.

Hausarztverträge (§73b SGB V)

Wer darf Hausarztverträge verhandeln auf regionaler Ebene? Laut SGB V neu:

Kassenärzte oder MVZ s, Gemeinschaften von Ärzten wie der Hausärzteverband,

, Managementgesellschaften, die ärztliche Versorgung anbieten, KV en, nur wenn Gemeinschaften sie ermächtigt haben, also nur in Sonderfällen, wenn ALLE Hausärzte einer KV die KV. ermächtigen.

Dieser Passus soll jetzt durch die „Lex Bayern“ verändert werden, der BHÄV möchte durchsetzen, dass nur Gemeinschaften wie der Hausärzteverband, wenn er denn mehr als 50% der „Allgemeinärzte“ vertritt, diese Verträge abschließen dürfen.

„Statusbildende“ Anforderungen an diese Verträge sind: Qualitätszirkel zur Arzneitherapie, Fortbildung, evidence-based Leitlinienbefolgung, Qualitätsmanagement.

Facharztverträge (73 c SGB V)

Besondere Versorgungsaufträge für die fachärztliche Behandlung können auch abgeschlossen werden mit Einzelärzten, Gemeinschaften, Managementgesellschaften und der KV. Hier darf die KV regelhaft Verträge abschließen.

Managed-Care Medizin nach dem Vorbild der USA!

In der Kombination von §73 b und §73c heißt das: Die freie Arztwahl der Versicherten ist komplett entfallen, sie dürfen dann von dem eingeschriebenen Hausarzt nur noch zu dem eingeschriebenen Facharzt gehen.

Für die Ärzte heißt es: keine eigentliche Therapiefreiheit mehr, an der ganz kurzen Leine der Kassen, Geld bei Einsparungen am Patienten, direkte Onlineanbindung an die Kassen und die Server für die elektronische Patientenakte, ganz so, wie es uns jetzt im Baden-Württemberger Hausarztvertrag der AOK vorgemacht wird. Die regionalen Kassenstrukturen sind weitgehendst entmachtet worden, die regionalen KV Strukturen ebenfalls, insgesamt ist das Kassensystem zentralisiert und gut regelbar gemacht worden und das KV System noch weiter entmachtet, als in den vorherigen „Reformen“. Außerdem wurde von dem „Wettbewerbsstärkungsgesetz“ der Wettbewerb der Kassen auf regionaler Ebene in Bezug auf die Ärztevergütung komplett abgeschafft! Bisher gab es Verhandlungen zwischen der KV und 4 Vertretern der unterschiedlichen Kassenarten. Neu ist, dass die Kassen verpflichtend einheitlich und gemeinsam verhandeln müssen, der Kassenvertreter mit den meisten Versicherten wird für die anderen mit verhandeln.

„damit wird der gesamte Bereich der vertragsärztlichen Vergütung zwischen den Krankenkassen vereinheitlicht und einer wettbewerblichen Gestaltung entzogen“! sagt der „Vater der Gesetzes“, Dr. Orlowski in seinem Kommentar (S. 60) Bei „kompletten Hausarztverträgen“(d.h. alle machen mit und auch alle Kassen machen mit!) liegt künftig die Sicherstellung bei der Kasse, die bereinigt die Gesamtvergütung und teilt der KV das Ergebnis mit!

Wer sind die Entscheider?

Der Bewertungsausschuss in Berlin entscheidet in Zukunft alles.

Wer ist das? 3 Mitglieder des neuen Spitzenverbandes Bund genannt Spibu, 3 Vertreter der KBV bzw. KZV. Früher waren es auf jeder Seite 7 Vertreter, alle Kassenarten waren vertreten. Wenn im Bewertungsausschuss keine einvernehmlichen Beschlüsse zustande kommen, entscheidet der erweiterte BA plus unparteiischem Vorsitzendem(Prof. J. Wasem) und je 2 von beiden Seiten benannte Unparteiische. Das Ministerium kann jederzeit beanstanden und hat ein Ersatzvornahmerecht! Die Kassenmacht wurde maximal konzentriert!

Die hoheitlichen Aufgaben der Kassen auf Landesebene wurden weitgehend abgeschafft. Der Spitzenverband Bund in Berlin mit einem 3 köpfigen Vorstand entscheidet. Doris Pfeiffer ist Vorsitzende. Früher gab es 7 Spitzenverbände mit unterschiedlichen Interessen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss(GBA, zuständig für die gesamte Versorgung, ambulant und stationär) ist auch neu strukturiert worden. Er ist noch mächtiger als vorher, und noch besser unter der Kontrolle des Staates. Bisher gab es viele verschiedene Beschlussgremien. Neu ist, dass alle Beschlüsse jetzt in einem einheitlichen Gremium GBA gefasst werden müssen, Vorsitzender Hess und je 5 Vertreter vom Spibu und den „Leistungserbringern“ (KBV, KZV, DKG). Die Krankenhäuser können in der neuen Konstellation besser in den ambulanten Sektor „hineinregieren“. Die Interventionsmöglichkeiten der Regierung wurden erweitert. Beanstandungen von Beschlüssen, Auflagen und Fristsetzungen wurden erleichtert. (S. 152)

Der Gesundheitsfonds- auf dem Weg zur Einheitskasse unter staatlicher Aufsicht

Beim Bundesversicherungsamt wird als Sondervermögen der „Gesundheitsfonds“ eingerichtet. Die Kassen müssen hier kalendertäglich ihre eingezogenen Versichertengelder an den Fonds abführen.

Nicht mehr die Krankenkassen setzen in Zukunft einen Beitragssatz fest, sondern die Bundesregierung setzt einen „allgemeinen Beitragssatz“ für das Folgejahr fest, mit dem die Kassen auskommen müssen. Kommt eine Kasse damit nicht aus, muss sie einen Zusatzbeitrag erheben. Überschreitet dieser 8 Euro im Monat, findet eine Einzelfallprüfung statt. Kasse als Finanzamt Nummer 2. Folge: Die Verwaltungskosten explodieren, die Kassen rechnen mit einer Erhöhung der Verwaltungskosten von 1,5 Milliarden Euro nur durch das einkassieren des Zusatzbeitrages. (Kassenveröffentlichungen September 2008)

Faktisch löst der Fonds den alten Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen ab. Es wird in Zukunft trotzdem einen neuen, morbiditätsorientierten Risiko- RSA geben. Das Bundesversicherungsamt hat 106 Krankheiten festgelegt, die für den Morbi- RSA zählen. Auch die Bezahlung der Ärzte soll sich künftig mittels noch festzulegender Codierrichtlinien durch die KBV (steht auch im Gesetz) an „Morbidität“ orientieren. Anhand von ICD 10 Diagnosen und den dazu gehörigen Arzneimitteltagesdosen .

Also, Asthma alleine zählt nicht, Asthma kombiniert mit einer Anzahl von DDDs der entsprechenden Asthmasprays zählt!

Für die DMP s wird es künftig nicht mehr ca. 4000 Euro pro Versicherten an die Kasse geben, sondern nur noch die „Programmkosten“180 Euro pro Fall. Es wird von den Gesundheitsexperten vermutet, dass dieses dazu führen wird, dass nicht alle DMPs überleben werden.

Bundeszuschuss für die GKV

Der Bundeszuschuss zum Ausgleich versicherungsfremder Leistungen, die eigentlich der Staat bezahlen müsste. Sollte ab 2004 eigentlich jährlich 4,3 Milliarden Euro betragen aus der Erhöhung der Tabaksteuer. Nach der Wahl wurde er reduziert auf 1,5 Mrd. Euro, soll jetzt vor der Wahl wieder erhöht werden, mal sehen, was nach der Bundestagswahl 2009 passiert!

Aushöhlung der privaten Krankenversicherung

Es wird mit dem GKV-WSG ein „Basistarif“ eingeführt. Das ist die Fortführung des bisherigen „Standardtarifes“, er wird aber einem großen Personenkreis zugänglich gemacht. (VVG §12) z.B. freiwillig GKV Versicherten, teilweise auch Beihilfeberechtigten, Nichtversicherten ohne Sozialhilfeanspruch, Selbständigen etc) Das Leistungsniveau entspricht dem GKV Niveau. Die Bezahlung beträgt: Ärztliche Leistungen bis maximal 1,8facher Satz, Laborleistungen bis 1,16facher Satz und technische Leistungen bis 1,38facher Satz. Zahnarztleistungen bis 2facher Satz.

Die Neuverträge in der PKV Vollsicherung werden erschwert, weil die Antragsteller 3 Jahre lang ein Arbeitsentgelt über dem Richtwert erzielt haben müssen.

Direkter Weg zur sogenannten „Bürgerversicherung“

Das eigentlich erklärte Ziel der SPD Gesundheitspolitik ist, alle Einwohner nach gleichen Regeln in einem einheitlichen Versicherungswesen zu versichern. Auf WANZ Niveau (wirtschaftlich, ausreichend, zweckmäßig,... und das ist immer weniger) Aber der Kapitalstock der jetzigen Privaten wird dann ins GKV System „eingemeindet“. Nur noch Grundsicherung für alle, mit privaten Zusatzpolicen, Allianz und Co warten schon.

Das GKV-WSG: der administrative Tunnelblick!

  • Zentralisation staatlicher Macht - Abschaffung von Kollektivvertrag und „Selbstverwaltung“!
  • Übernahme der ambulanten Versorgung durch Kapitalgesellschaften!
  • Managed–Care Medizin statt persönlicher Versorgung!

Was wollen wir?

  • Den Erhalt der wohnortnahen Versorgung durch freie Praxen!
  • Menschliche Medizin statt Massenabfertigung in MVZ!
  • Keine elektronische Gesundheitskarte- Medizindaten unter der ärztlichen Schweigepflicht!
  • Arztpraxen des Vertrauens statt Profitcenter der Kapitalgesellschaften!

Diese Politik macht krank.

Wir fordern eine Kehrtwende der Gesundheitspolitik!

Dr. med. Silke Lüder, Allgemeinärztin, Hamburg 27.9.2008

  1. Zitate aus „Gesundheitsreform 2007 (GKV-WSG): Änderungen und Auswirkungen auf einen Blick“ von Ulrich Orlowski, Jürgen Wasem. Müller Verlag, Heidelberg; Auflage: 1. A. (1. Juni 2007)


©27.9.2008 Dr. med. Silke Lüder und facharzt.de/hausarzt.de und Freie Ärzteschaft e.V.
Quelle des Originalartikels: http://www.facharzt.de/content/red.otx/187,72268,0.html

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