Ein Gastkommentar von A. Brunngraber
Seit vielen Jahre hält die politische Kampagne zur Entwürdigung und Diffamierung der verfassten Ärzteschaft an.
Die mit reisserischen Begriffen wie "Fangprämie" angedeuteten Vorwürfe gegen Ärzte scheinen sich in der Tat nicht mit einer anständigen, primär dem Patienten verpflichteten Berufsausübung zu vertragen. Aber ist das alles derzeit überhaupt das Thema, die Frage, das Problem?
Viel bedeutsamer erscheint mir hingegen der folgende Zusammenhang.
Durch konsequent betriebene Änderung von Gesetzen, Tarif-Regelungen, Gebührenordnungen, Mantelverträgen - also Normen aller Art, wie sie das berufliche Sein der Ärzte formen - wurde von Berlin unbeirrt eine Perspektive der Industrialisierung und Ökonomisierung der Medizin eröffnet und installiert, das in Aussicht stehende Geld als wesentliches Handlungsmotiv bei den Beteiligten eingepflanzt.
Die Elemente dieser Perspektive: erzwungener Zugang außerärztlicher Investoren zum "Gesundheitsmarkt", die Phrase des Wettbewerbs (von Kassen um Versicherte, von Ärzten um Verträge mit diesen Kassen, um profitable Patienten, um "Gute Risiken"), die Phrase der Transparenz als Codewort für Kontrolle von Allem und Jeden, die in den Kommentaren der Gesetzesmacher offen propagierte "Steuerung der Beteiligten durchs Geld".
Dies alles ist doch der eigentliche Skandal, das schleichend applizierte Gift, das den humanen Kern unserer ärztlichen Arbeit als "historisch überholtes Relikt" expurgieren soll.
Die oben angesprochene, von der herrschenden gesundheitspolitischen Nomenklatura in Berlin und den Provinzen betriebene Umwandlung der freiberuflichen, persönlich verantworteten, am Gegenüber orientierten Arzttätigkeit dient unter anderem folgenden Zielen:
- weg von einer persönlichen Bindung als salutogenetischem Fundament der Arzt-Patient-Beziehung, einer oft lebenslangen biographisch tragenden Brücke der interpersonellen Begegnung: persönliche Loyalitäten stehen einer reibungslosen zentralen Lenkung im Wege,
- weg von einer Geschichte und Tradition ärztlichen Selbstverständnisses und einer gewachsenen Auffassung der Bevölkerung vom Arzt und seinem Wissen und Tun.
In den vergangenen Monaten haben Kassenmitarbeiter in ganz Deutschland unsere Arztpraxen aufgesucht und gegen eine "Prämie von 10 €" die Änderung der dort dokumentierten Diagnosen begehrt. Natürlich mit dem Ziel höherer Geldzuflüsse aus dem Risiko-Struktur-Ausgleich für die Kassen, nach deren Auffassung völlig legitim…
Kassen konfrontieren - durch Gesetze gezwungen - die niedergelassen Ärzte mit vorgeblich "integrativen Verträgen", in denen die freie Arztwahl, die freie Medikamentenwahl, die freie Apothekenwahl und die noch relativ freie Klinikwahl sukzessive "für ein Linsengericht" aufgegeben werden. Die Geldprämien für die willigen Ärzte hierbei sind politisch gewollt, sie sollen "steuern", "lenken" und "motivieren"!
Klassiker dieser finanziellen Steuerung ärztlichen Handelns sind die "Budgetierungen", "Regel-Leistungsvolumina", "Regresse" für den Medikamentenverbrauch, die einer anständigen, freien und guten ärztlichen Arbeit bereits heute im Wege stehen. Die Borniertheit derartiger Regelungswut gipfelt in einer "Gebührenposition für Wohlverhalten", die den Kassenärzte nicht für das Erbringen von Leistungen sondern für das Unterlassen von (Labor)-Leistungen gezahlt wird.
All diese sorgfältig abgestimmten Schritte sind - nach psychologischen und betriebswirtschaftlichen Aspekten - der industriellen Fertigung abgeguckt. Von hier kommt "Pay for Performance", hiermit ist uns Ärzten machtvoll ein Handeln entlang von finanziellen Folgen eingebläut worden. All dies hat sich nicht zufällig ergeben, es ist mit zielgerichteter Konzeption ins Werk gesetzt worden. Und zwar unter unser aller Augen, ohne dass unsere Selbstverwaltung sich hierfür erkennbar interessiert hätte, ohne dass sie dies aufgearbeitet, verbreitet, diskutiert und schließlich abgewehrt hätte. Vielmehr werden kritische Stimmen hierzu auch heute noch aus der Spitze der ärztlichen Selbstverwaltung heraus als "Taliban" verhöhnt…
Die eigentliche Aufgabe müßte doch in der Abwehr des Versuchs bestehen, unsere große alte Liebe und Leidenschaft Medizin wie geschildert zu ökonomisieren und zu merkantilisieren. Diese gemeinsame Abwehr sollte uns Ärzte auch vor Käuflichkeit, Prostitution, Abhängigkeit, Mandantenverrat und anderen Sünden schützen, uns gegenüber diesen tristen, legalisierten Verlockungen resistent machen.