Die ZEIT hat einen satirischen Beitrag zur "Kassengebühr" veröffentlicht (Hoffritz J: Dr. med. Bürokrat. Zeit 50: 25; 4.12.2003). Dazu einige Anmerkungen.
Natürlich müssten sich über diese Gebühr die Patienten ereifern. Die meisten wissen nur noch nicht konkret, was ihnen blüht. Aber " was nicht ist, das wird noch. Meine Kundschaft jedenfalls hat sich schon mehrfach spontan (ich habe sie wirklich nicht dazu gezwungen!) abfällig über diesen "Schwachsinn" ausgelassen, und es ist nur noch eine Frage der Zeit", bis die ersten bei ihrer kranken Kasse vorstellig werden. (Aber erst, nachdem mich die Kriseninterventionen wg. Kassengebühr zwei Stunden pro Woche von meiner eigentlichen Arbeit abgehalten haben werden).
Meine höchstpersönliche Aufregung hat tatsächlich Ursachen: Papierkrieg und Bürokratie. Ich bin nämlich Mediziner, kein Bürokrat. Meine Patienten (oder muß ich sie künftig Leistungsbeansprucher nennen") sind auch keine Bürokraten, obwohl nur wenige Mediziner darunter sind).
Ich gebe es zu: auch ich hätte das Risiko gern den Kassen aufgebrummt. Ich müsste ja bescheuert sein, wenn ich mir freiwillig das Risiko für einen Krankenkassenzusatzbeitrag aufgehalst hätte! Das haben dann andere für mich erledigt! Mich hat keiner gefragt - behaupten Sie also nie wieder: "Die Ärzte" haben es so gewollt!".
"Nach dem derzeitigen Abrechnungsverfahren wissen Deutschlands Krankenversicherer gar nicht, wer von ihren Mitgliedern wann und wie oft zum Arzt geht." Da ist was dran. Ehrlich. Andererseits: ich weiß auch nicht, wie viel mir letztlich für meine Arbeit bezahlt wird. Das hängt vom Zufall ab (anders ausgedrückt: vom Honorarverteilungsmaßstab). Letztens habe ich 100% gearbeitet (ehrlich!), aber nur 78% bezahlt gekriegt (auch nicht gelogen).
So. "Wir werden sicherstellen, dass Notfallpatienten behandelt werden, ob sie nun Geld bei sich haben oder nicht", sagt Schlichter Nicolay." Interessant. Ich wusste gar nicht, dass pluralis majestatis Schlichter über die nötigen Ressourcen verfügen, Notfallleistungsbeansprucher zu behandeln. Ich dachte immer, das machen die Ärzte". Egal. Er wird ein Konzept und die Zulassung dafür haben. Anderenfalls müsste man ihn als Dummschwätzer bezeichnen. Das will er doch nicht, oder" Dann mal her mit seinem Konzept!
"Beobachter gehen davon aus, dass die Doktoren von den zehn Euro maximal 50 Cent als Prämie fürs Inkassorisiko behalten dürfen." Dürfen! Danke! Danke!! Danke!!! Offensichtlich ein, von ausgefuchsten Beobachtern, betriebswirtschaflich messerscharf kalkulierter Wert. Ein durchlaufender Posten, Inkasso für Dritte, ohne juristisch unanfechtbare Berechtigung, die Forderung auch tatsächlich einzutreiben, für 50 Cent "Prämie". Super! Ich werde mit meiner Bank neue Konditionen aushandeln! Von wegen Vor-Ort-Installation 50 €, 20 € Monatsmiete, 5 ct pro Transaktion! Plus Telefongebühren. Die Telekom muß es mir auch billiger machen...
"Die Praxisbesitzer wären besser dran als Apotheken oder Krankenhäuser." Mit Apotheken kenne ich mich nicht aus. Die sind arm dran. Aber Krankenhäuser? Für die ziehen die kranken Kassen die Kohle nach der ersten Erinnerung ein. Für mich aber nicht. Damit bin ich dann besser dran. Bestechend logisch.
"Auch bei den Ärzten sah es zwischendurch so aus, als hätten sie gar nichts gegen das Inkasso einzuwenden " das ihnen immerhin Liquidität bringt. Im Sommer schlug die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sogar vor, bei der Abrechnung auf Kostenerstattung umzusteigen. Ulla Schmidt lehnte das ab."
Das sind jetzt aber ganz verschiedene Schuhe. Erstens: "Die Ärzte" sind eine Popgruppe. Die haben nichts damit zu tun. Ich erwähnte es bereits. Zweitens: das Argument des Liquiditätsvorteils relativiert sich, wenn gleichzeitig die Zahlungen der Kassenärztlichen Vereinigung (die Betonung liegt hier auf Kassen!) rasenmäherartig gekürzt werden. Drittens: die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit "die Ärzte"", und Kostenerstattung mit Kassengebühr, gleich zu setzen, entspricht in etwa der Feststellung, dass die Qualität der journalistischen Arbeit bei der Zeit" mit der des Neuen Deutschland gleich zu setzen sei. Letztens: Ullallallalla Schmidt wußte sehr wohl, warum es die generelle Kostenerstattung ablehnte: dann wäre nämlich jeder klar geworden, dass 100% Arbeit, aber nur 50% Bezahlung erfolgt (den Rest hätte dann jede aus eigener Tasche bezahlen dürfen).
"Wer große Rechnungen schreiben will, darf sich nicht über den bürokratischen Aufwand einer kleinen Gebühr aufregen." Wollen will ich auch. Sie nicht, schon klar. So lange das normierte, durchschnittlich budgetierte Kontingent pro Nase und Vierteljahr rund 30 Minuten und enorme 50 Euro beträgt, reden wir gar nicht mehr über "große Rechnungen", ok? Das stinkt.
Der Funktionärskollege in der Ärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, trifft die Stimmung an der Basis besser. "Eine Registrierkasse am Praxiseingang - völlig absurd". Richtig. Funktionärskollege. Ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie es mit Funktionärskollegen zu tun haben? Nicht mit Gesundheitsarbeitern in der Basisversorgung. Die haben Besseres zu tun, als witzige Statements in der Öffentlichkeit abzulassen.
"Im Gesundheitsministerium wird gewitzelt." Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu.
"Fachärzte blicken herab auf die einfachen Hausärzte." Spricht für eine fundierte Recherche an der Basis. Gut beobachtet. Ich sag" Ihnen was: die an der Basisversorgung beteiligten Haus- und Fachärzte kooperieren erstaunlich gut miteinander. Wo es hakt, da sitzen Funktionäre.
"Jetzt müssen die hoch bezahlten Spezialisten damit rechnen, dass Versicherte mit Wehwehchen zuerst den Allgemeinmediziner ansteuern und diese nur die wirklich Schwerkranken weiterreichen. Ein schwerer Schlag." Hoch bezahlt. Für eine hoch spezialisierte Leistung (Psychotherapie) wurden zuletzt 6 (in Worten: sechs) Euro Umsatz gelöhnt. Das nenne ich einen schweren Schlag.
"Allerdings werden Allgemeinmediziner von Januar kommenden Jahres an auch anderweitig genug zu tun haben." Sehe ich genau so. 2500 Leistungsbeansprucher stehen am 2. Januar auf der Matte und wollen Überweisungen. Viel Spaß dabei! Obwohl: die eine oder andere hat gar keinen Hausarzt. Und will auch keinen.
"Während andere noch protestieren, hat der Verbandschef auch längst mit der Postbank günstige Konditionen fürs Gebühren-Inkasso ausgehandelt. Seit Montag werden in den Hausarztpraxen EC-Kartenleser montiert." Brav. Kostet bestimmt nix. Oder nur 50 ct.
(Sie müssen meinen Beitrag nicht bei den Leserbriefen veröffentlichen. Sie dürfen ihn auch im redaktionellen Teil weglassen. Ich schenke es Ihnen, damit Sie nicht behaupten, es ginge mir nur um Geld. Und eine Eingangsbestätigung brauche ich auch nicht, sechs Wochen später. Vielen Dank!)
Notiz: 7.12.2003 an die zeit geschickt. Mal sehen, was daraus wird...
Die Originalsatire.
Donnerstag, 22. Januar 2004
Dr. med. Bürokrat
Geschrieben von frontier psychiatrist
in Ärztepranger
um
22:24
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