Sensationell: Panorama (im Fernsehen) findet heraus
"Die Pharmaindustrie will die Wahl des Medikaments nicht einfach dem Arzt überlassen."
Computerprogramme werden mitfinanziert (75,7 Prozent aller Arztprogramme) und der Rezeptdruck wird so programmiert, dass eine Firma bevorzugt wird.
Von der Bundesärztekammer hört man: "Es ist verständlich, dass der Arzt oder die Ärztin, die ökonomisch heutzutage in einer etwas bedrängten Situation sind, gerne sehen, wenn ihnen etwas geschenkt wird. Da aber dieses Geschenk mit einer Einflussnahme auf die Verordnungsweise verbunden ist, muss man hier berufsrechtlich doch die Frage diskutieren, ob es sich hier nicht um eine Art von Bestechung handelt."
Ein Arzneimittelexperte rechnet: im Generika-Bereich kann man 1 bis 1,2 Milliarden Euro einsparen.
Die Bundesgesundheitsministerin würde sich wünschen, dass "die Ärzteschaft neue Computersoftware-Programme auch in den Praxen einsetzt, die eben Pharma-unabhängig sind."
Pharmaindustrie und Softwarehersteller betonten, die Programme seien völlig legal. Außerdem sei der Arzt jederzeit Herr des Verfahrens.
Die Quelle
Die Westdeutsche Zeitung titelte dazu am 29.11.2004: "Wie Pharmafirmen die Ärzteschaft manipulieren".
Krankenkassen und Versicherten entstehe ein Milliardenschaden dadurch, dass Ärzte von der Pharmaindustrie gesponsorte Software benutzten: die Ärzte merkten nicht, dass sie von den Firmen manipuliert würden.
Ausserdem gebe es zu wenig neutrale Informationsquellen: die Pharmaindustrie habe ein Informations-Monopol.
Die kostenfreien Arzneimuster, die die Pharmavertreter in den Praxen hinterliessen, trügen ebenfalls zur Kostensteigerung bei, da es sich "eigentlich" um teurere oder nicht optimal geeignete Medikamente handele.
Schliesslich wird gefordert: "Die Ärzte müssen weg von der Umsonst-Mentalität, und das Gesundheitsministerium muss für eine Medikamentenberatung sorgen".
(Es ist kein Link verfügbar)
Jetzt aber mal der Reihe nach.
Ich arbeite jetzt seit 20 Jahren als Arzt (davon 50% im Krankenhaus, 50% in eigener Praxis). Bin ich etwa blöd?
Pharmavertreter kommen und gehen (momentan etwa einmal pro Woche). Sie bewerben die Vorzüge ihrer Produkte, die ich bereits aus Anzeigen in Print- und elektronischen Medien kenne, oder über die ich in Fachzeitschriften gelesen habe. Ich weiss, dass die Firmen Umsatz machen wollen, und dass sie mich dazu bringen wollen, meinen Anteil an diesem Umsatz zu leisten.
Wen ich ein Rezept ausstelle, benutze ich das Programm Albis. Bin sehr zufrieden damit. Das habe ich vor 10 Jahren für 1.100 € (2.200 Mark, für die Älteren) gekauft. War ein Messeangebot und beim Einschalten leuchtete kurz das Bayer-Logo auf (aber nur bis 1996; Bayer hat ja heute eigene Probleme&). Bis heute bezahle ich rund 1.200 € im Jahr für Updates und so weiter - so viel zum Thema "kostenlos" oder "geschenkt".
Zu den Updates gehört auch das der Datenbanken für die Medikamente - die Preisinformationen werden alle zwei Wochen auf den neuesten Stand gebracht (ist für mich überlebenswichtig wegen der fluktuierenden Preise). Die Daten kommen von privaten Anbietern - ich wette, dass da die Pharmaindustrie die Finger im Spiel hat!
Frage: können Sie sich vorstellen, dass eine staatliche Organisation (das Gesundheitsministerium) so schnell ist? Ich nicht.
Können Sie sich vorstellen, dass eine staatliche Organisation eine "neutrale Informationsquelle" ist, wenn die Beitragssenkung (nicht: die optimale Behandlung) das erklärte Ziel ist? Ich nicht.
Ich weiss also, was ich habe: eine kommerzielle Datenbank mit handfesten Verkaufsinteressen. Das springt ins Auge: nach jedem Update muss ich die Häkchen bei den Werbeoptionen entfernen (dauert 5 Sekunden, wenn's hochkommt). Die Auswahl der Medikamente erfolgt danach nur noch nach Preis (dazu muss ich tatsächlich oft scrollen, weil mich ein impertinenter Generikahersteller dazu zwingt), und selbst in der Hektik des Tagesgeschäfts passieren mir dabei keine Fehler (ich kenne mich mittlerweile mit Richtgrössen- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen zu gut aus&).
Was habe ich also? Ein gut funktionierendes, stets aktuelles Programm mit Nagscreens (die ich abschalten kann) und mit einer Reminder-Funktion, die ich bewusst umgehen kann.
Ich weiss das alles. Wo, bitte, steckt dann die Manipulation? (Manipulationsversuch will ich gerade noch gelten lassen&)
Wie finde ich denn die Äusserung der Bundesärztekammer? Immerhin steht der Verdacht der Bestechlichkeit im Raum! Ich finde es seltsam, dass meine eigene Standesvertretung diesen Verdacht bekräftigt, anstatt mir zunächst persönliche und fachliche Integrität und patientenorientiertes (statt marktwirtschaftliches) Handeln zuzugestehen (die so genannte Unschuldsvermutung).
Wie steht es um das Einsparpotenzial von einer Milliarde bei den Generika? Wenn ich meine eigenen Zahlen zugrunde lege (2003: Einsparpotenzial 0,002%, Generikaanteil 21%), komme ich, bei 21 Milliarden Euro insgesamt, auf knapp 9 Millionen Euro. Ist zwar immer noch viel, aber nur ein Tausendstel des Behaupteten.
Soviel zur Aussagekraft der Schätzungen von Experten.
Der Wunsch der Bundesgesundheitsministerin ist mir längst Befehl: meine Praxis ist Pharma- unabhängig, und ich nutze neue Computerprogramme.
Ein Arzt merkt nicht, dass er manipuliert wird? Wenn er manipuliert wird, darf er es auch nicht (das hat Manipulation so an sich). Und wenn es ihm klar ist, dass man versucht, ihn zu manipulieren - ist er dann zu blöd, etwas dagegen zu unternehmen? Wenn Sie diesen Eindruck gewinnen, fragen Sie Ihren Apotheker und wechseln Sie den Arzt!
Es gibt zu wenig neutrale Informationsquellen? Was kennzeichnet eine neutrale Informationsquelle? Ein staatliches Gütesiegel (angesichts der Sparzwänge im Gesundheitswesen und der Doktrin der Beitragsatzstabilität)? Ganz sicher sind Publikationen der Pharmaindustrie nicht neutral (Stichwort: publication bias), und es sollen auch schon unerwünschte Studienergebnisse unterdrückt worden sein. Ärzte wissen das. Sie berücksichtigen das bei ihrer Arbeit. Oder haben Sie den Eindruck, dass Ihr Arzt Ihnen nur ein "Mittelchen" (Originalton Panorama) aufschreibt, weil er von der Pharmaindustrie geschmiert wird?
Die kostenfreien Arztmuster sind teuer und nicht optimal? Optimal können Sie sowieso vergessen: die gesetzliche Krankenkasse erlaubt ohnehin nur eine wirtschaftliche, zweckmässige, notwendige und ausreichende Behandlung - von "optimal" ist da nicht die Rede (Sie können eine toxische Arzneimittelzubereitung darauf nehmen, dass die meisten Ärzte das sowieso nicht begreifen).
Ich mache mal eine Gegenrechnung auf: mit den kostenfreien Arztmustern bestreite ich etwa 5% meines Gesamtaufwandes für Medikamente. Das entspricht, hochgerechnet auf rund 21 Milliarden €, einem Betrag von immerhin rund einer Milliarde Euro - der GKV-Beitragssatz würde also um 0,1% steigen, gäbe es keine Arztmuster mehr!
Der letzte Punkt: die "Umsonst-Mentalität der Ärzte". Dazu fällt mir nichts mehr ein. Bei laufenden Betriebskosten von 53% (und das ist noch billig!) weiss ich schmerzhaft genau, dass es nichts umsonst gibt. Trotzdem toleriere ich (noch), dass ich 30% meiner Arbeit umsonst (Gott sei Dank nicht vergebens) mache: bei durchschnittlich 70% Auszahlungsquote "meiner" KV in meiner Fachgruppe bin ich immer noch besser dran als andere.