Project Nightingale: Google geht auf Patientenjagd

Google will mit Nullen und Einsen den Code des gesunden Körpers entschlüsseln. Bild: Google Blog

Ohne Wissen von Patienten durchleuchtet Google Millionen von Gesundheitsakten, um eine Suchmaschine für Krankheiten zu bauen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge hat Google Zugriff zu Millionen von Patientenakten in 21 Bundesstaaten. Im Rahmen des Projekts "Nightingale" (Nachtigall) sammelt und analysiert Google detaillierte Gesundheitsinformationen von Ascension, das mit 2.600 Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen medizinischen Einrichtungen der größte gemeinnützige Krankenhausbetreiber in den USA ist. Weder Patienten noch Ärzte sollen über die Verwertung der vertraulichen Daten durch Google informiert worden sein.

Zu den Daten zählen Laborergebnisse, Arztdiagnosen, Aufzeichnungen über Krankenhausaufenthalte, Medikamentenverabreichung, Informationen aus gescannten Dokumenten und eine vollständige Krankengeschichte mit Namen und Geburtsdatum der Patienten. Google trainiert an den Daten Prognose-Softwares für die Gesundheitsindustrie. Laut New York Times sollen rund 150 Google-Mitarbeiter Zugriff auf die sensiblen Daten erhalten haben.

Die Partnerschaft zwischen Google und Ascension stellt bisher die umfangreichste Zusammenarbeit zwischen Silicon Valley und dem Gesundheitssystem dar. Sie sieht vor, dass Daten aller Ascension-Patienten auf die Cloud-Computing-Plattform von Google hochgeladen werden. An ihnen werden KI- und Maschine Learning-Softwares getestet, die elektronische Patientenakten nach bestimmten Merkmalen durchsuchen und Muster im Krankheitsablauf herausfinden sollen. Mithilfe der Diagnosen will Google eine intelligente Suchmaschine für Krankheiten bauen.

Ascension begründet die Kooperation in einer am Montag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung der Unternehmen, mit der fortschreitenden Digitalisierung des Gesundheitswesens, das Modernisierungen erforderlich mache. Ziel sei es schließlich, medizinischen Fachkräften einen besseren Zugang zu Patientendaten zu ermöglichen, die Patientenversorgung zu verbessern und letztendlich zu versuchen, Erkenntnisse aus den Daten zu gewinnen, um Behandlungsabläufe zu optimieren. Das Unternehmen nennt sich "eine auf Glauben basierende Gesundheitsorganisation, die sich der Transformation durch Innovation im gesamten Versorgungskontinuum verschrieben hat ". Zu den Patienten von Ascension zählen insbesondere Großstädter aus ärmeren Schichten ohne Krankenversicherung.

Google sieht in der heimlichen Datenverwertung keinen Gesetzesverstoß. Projekt Nightingale sei mit dem Bundesgesundheitsgesetz (federal health law) vereinbar und beinhalte einen zuverlässigen Schutz für Patientendaten, erklärte das Unternehmen am Montag. Laut Tariq Shaukat, CEO der Google-Cloud-Sparte, wolle das Unternehmen dazu beitragen, "letztendlich Behandlungen zu verbessern, Kosten zu senken und Leben zu retten".

"Big Data" und small Datenschutz

Das Gesundheitswesen in den USA ist ein Multi-Billionen-Dollar-Geschäft, in das die Software-Giganten miteinsteigen wollen. Amazon hat letztes Jahr die Online-Versandapotheke Pillpack gekauft, bietet mit Alexa einen Hustensensor. Apple hat viele Tracker und Gesundheitsapps. Google zieht nun nach mit der Akquise von Fitbit, dem Fitness-Tracker für zwei Mrd. US-Dollar.

Doch langfristig will Google "die Bedürfnisse der Patienten antizipieren, bevor sie entstehen". Google ist ohnehin die erste Anlaufstelle für medizinischen Rat. Die Suchmaschine erneuerte letztes Jahr umfassend den Algorithmus speziell für Gesundheitsthemen, um bessere Ergebnisse bieten zu können. Seiten mit falschen Empfehlungen rutschten in den Ergebnislisten nach unten.

Google weiß schließlich, was kranke Menschen suchen. Wie sie behandelt werden, jedoch nicht. Um an entsprechende Daten zu gelangen, geht Google immer wieder nach dem gleichen Muster vor. Im Rahmen der Fortentwicklung der Maschine-Learning-Programme schließt Google Partnerschaften mit Gesundheitseinrichtungen mit dem Versprechen für die Einrichtungen, Kosten einzusparen.

Schon 2017 wurde Google vorgeworfen, ohne Einverständnis von Patienten des Medical Center der University of Chicago Zugang zu Hunderttausenden von Gesundheitsakten erhalten zu haben. Google hatte ebenfalls eine Partnerschaft mit dem Medical Center der University of Chicago geschlossen, um Software für maschinelles Lernen zu testen.

Auch außerhalb der Vereinigten Staaten sucht Google nach Datenminen. Wie NewScientist im Oktober berichtete, hat Google in einem "geschickten" Manöver die Vereinbarung von DeepMind mit dem britischen National Health Service (NHS) übernommen. Dadurch erhält Google für fünf Jahre Zugriff auf Patientendaten von rund 1,6 Millionen Patienten. Google hatte 2014 DeepMind gekauft, um die eigene KI-Sparte voran zu bringen.

In Silicon Valley befürchtet man schon länger den Verlust der Innovationskraft des Standorts. Die großen Tech-Firmen bringen keine eigenen Innovationen mehr hervor, sondern kaufen vielversprechende Startups schnell auf. Allen voran Google bzw. Alphabet. Seit 2006 hat die Firma insgesamt $12,5 Mrd. ausgegeben und 236 Startups geschluckt, etwa genau so viele wie Amazon, Facebook und Apple zusammen. Mitgekauft werden dabei auch die gesammelten Daten. Im Falle von Fitbit Gesundheitsdaten von 28 Millionen aktiven Nutzern.