Spahn will Millionen Versichertendaten für Forschung freigeben

Die Daten von allen gesetzlich Versicherten sollen für die Forschung verwendet werden.

Die Daten von allen gesetzlich Versicherten sollen für die Forschung verwendet werden.

Berlin. Die Gesundheitsdaten der 73 Millionen gesetzlich Versicherten sollen künftig ohne ihr Einverständnis für die Forschung verwendet werden können. Das sieht ein bisher in der Öffentlichkeit nicht beachteter Passus im sogenannten Digitale-Versorgung-Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor, das bereits in der kommenden Woche im Bundestag beschlossen werden soll.

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Danach müssen die gesetzlichen Krankenkassen die persönlichen Daten sowie sämtliche Behandlungsdaten aller Versicherten an den Spitzenverband der Kassen melden, der sie dann der Forschung zur Verfügung stellt. Damit entstünde eine der umfangreichsten Datensammlungen in der Bundesrepublik. Eine Möglichkeit für die Versicherten, der Weitergabe dieser hochsensiblen Daten zu widersprechen, sieht der Gesetzentwurf nicht vor.

„Sozialdaten sind wichtige Datenquelle“

Die von den Kassen gelieferten Datensätze werden laut Gesetzentwurf erst beim Kassen-Spitzenverband pseudonymisiert, aber nicht verschlüsselt. Sie sollen den Planungen zufolge dann an ein neues Forschungsdatenzentrum weitergeleitet werden. Die Daten können laut Gesetzentwurf von Behörden, Forschungseinrichtungen oder Universitätskliniken genutzt werden. Die Industrie wird nicht genannt, sie ist aber auch nicht explizit ausgeschlossen.

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In Einzelfällen dürfen sogar Datensätze von einzelnen Personen verwendet werden. Eine Löschung der gesammelten Daten ist nicht vorgesehen. „Die Sozialdaten der Krankenkassen sind eine wertvolle Datenquelle nicht nur für die Steuerung und Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch für die wissenschaftliche Forschung“, heißt es in der Gesetzesbegründung. Die Daten von Privatversicherten werden nicht erfasst.

Bei der öffentlichen Anhörung des Gesetzentwurfs im Bundestag Mitte Oktober hatten IT-Sachverständige das Vorhaben scharf kritisiert. So forderte der Datenschutzexperte Dominique Schröder von der Universität Erlangen-Nürn­berg laut Wortprotokoll, dass die Versicherten das Recht haben müssten, über die Verwendung der Daten zu entscheiden. „Das heißt insbesondere, wenn beispielsweise ethische Bedenken vorliegen, sollte ein Patient die Möglichkeit haben, von Studie zu Studie zu entscheiden, meine Daten dürfen benutzt werden oder nicht“, sagte Schröder. Er wies auch darauf hin, dass der Datenschutz nicht gewährleistet sei. So sei es mit den heutigen technischen Mitteln möglich, eine Anonymisierung zu knacken. Er empfahl, nur mit verschlüsselten Daten zu arbeiten.

Bundesrat übt Kritik

Der Bundesrat hat ebenfalls massive Bedenken geäußert. Es bestünden „erhebliche Zweifel, ob (…) der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte der Versicherten gewahrt bleibt“, heißt es in der Stellungnahme der Länderkammer zum Gesetzentwurf von Spahn.

Weder die geltenden Beschränkungen für die Übermittlung von Sozialdaten zu Forschungszwecken noch die bisherigen Begrenzungen bei den in Frage kommenden Forschungsthemen würden in dem Gesetzentwurf beachtet. „So sollen die Daten nicht nur für Forschung im engeren Sinne, sondern zum Beispiel auch zur Unterstützung politischer Entscheidungsprozesse zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung oder zur Wahrnehmung von Aufgaben der Gesundheitsberichterstattung genutzt werden können“, kritisierten die Länder und kommen zu folgendem Fazit: „Vor diesem Hintergrund ist eine umfassende Überprüfung der Regelungen unter dem Gesichtspunkt des Sozialdatenschutzes notwendig.“

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte hat Bedenken

Inzwischen hat auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber reagiert. „Wir haben Bedenken!“, schrieb Kelber auf Twitter. Man habe dem Gesundheitsministerium Empfehlungen gegeben und werde dem Bundestag eine Stellungnahme zuleiten, kündigte er an. Auf Nachfrage erklärte er nur, er wolle der Stellungnahme nicht vorgreifen.

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Scharfe Kritik kam von den Grünen: „Es ist hochbedenklich, dass Spahn im Schweinsgalopp, praktisch ohne gesellschaftliche Diskussion, die kompletten Gesundheitsdaten der gesetzlich Versicherten für die Forschung zugänglich machen möchte“, sagte die Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Es sei an keiner Stelle intensiver diskutiert worden, ob Datenschutz und Datensicherheit hinreichend gewährleistet seien.

Zudem gebe es keine eindeutigen gesetzlichen Vorgaben zur Pseudonymisierung der von den Kassen an den Spitzenverband übermittelten Daten. Außerdem fehlten gesetzliche Regelungen zu Löschfristen und den Widerspruchsmöglichkeiten der Versicherten. Das solle erst in einer Rechtsverordnung des Gesundheitsministeriums festgelegt werden. „Damit entzieht Spahn dem Bundestag als Gesetzgeber wichtige Entscheidungs- und Einflussmöglichkeiten“, beklagte die Grünen-Gesundheitsexpertin.

RND

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