Esketamin-Nasenspray bessert Depression innerhalb von Stunden: In den USA Zulassung unter Auflagen, EMA hinkt hinterher

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

23. Juli 2019

Das im Gegensatz zu anderen Antidepressiva sehr rasch wirkende Medikament Esketamin ist in den USA seit einigen Monaten für die Behandlung therapieresistenter Depressionen zugelassen – mit zahlreichen Auflagen. Patienten in Deutschland warten dagegen weiter auf ein positives Votum der European Medicine Agency (EMA) zu dem auch als Partydroge bekannten Wirkstoff.

Im März hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) Esketamin, das S-Enantiomer des Ketamins, für die Behandlung anderweitig nicht therapierbarer schwerer Depressionen mit Auflagen zugelassen (Medscape berichtete). In einer „Perspektive“ im New England Journal of Medicine erklärt die Behörde nun diesen Schritt, basierend auf der aktuellen Studienlage [1].

Die Wirksamkeit und Sicherheit von Esketamin bei Patienten mit nicht therapierbarer Depression wurde in 3 vierwöchigen Placebo-kontrollierten Studien und einer Langzeitstudie evaluiert, in denen Esketamin in Kombination mit einem oralen Antidepressivum eingesetzt worden ist. Eine positive Kurzzeitstudie sowie die positiven Erkenntnisse aus der Langzeit-Studie „liefern genügend Evidenz“, schreiben die Experten der FDA in Silver Spring, Maryland, USA, unter der Leitung von Dr. Jean Kim .

EMA noch im Zulassungsprozess

Die EMA, sagt Prof. Dr. Malek Bajbouj, Leiter des Forschungsbereich Affektive Neurowissenschaften an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité-Universitätsmedizin Berlin, hinke im Zulassungsprozess hinter der FDA hinterher, weil sie noch auf Erfahrungen mit dem Medikament in einzelnen europäischen Märkten warte, so seine Vermutung. „Ich erwarte aber eine baldige Zulassung“, sagt er im Gespräch mit Medscape.

 
Ich erwarte aber eine baldige Zulassung. Prof. Dr. Malek Bajbouj
 

An der Charité habe er Esketamin und Ketamin bereits bei 150 Patienten getestet, berichtet er. Vorgesehen ist das Medikament für Patienten mit schwerer Depression, bei denen mindestens 2 vorherige Therapien mit anderen Antidepressiva fehlgeschlagen sind. Das seien rund 20% aller Patienten mit einer depressiven Störung, erklärt Bajbouj.

„Den allermeisten Patienten kann auch ohne Esketamin geholfen werden“, so seine Erkenntnis. Dass das Nasenspray zumindest in den USA bereits als „Durchbruch“ in der Behandlung von Patienten mit schwerer Depression gefeiert wurde, kann er nur teilweise nachvollziehen.

„Es handelt sich schon um eine besondere Substanz, die Patienten helfen kann, aber meiner Meinung nach nicht um die Revolution. In unserem Klinikalltag ist Esketamin eines von vielen Medikamenten, die wir bei Patienten mit schwerer Depression einsetzen – daher versuche ich mich von dem Hype nicht zu sehr anstecken zu lassen“, so Bajbouj.

Partydroge vertreibt Selbstmordgedanken

Die sehr schnelle antidepressive Wirkung innerhalb von Stunden sei jedoch ein erheblicher Vorteil gegenüber anderen Präparaten, die oft erst nach mehreren Wochen eine Besserung der depressiven Symptome bewirken, sagt Bajbouj. Insbesondere auf die Suizidalität könne das Präparat einwirken. Wie hoch die Rückfallquote sei, wisse er nicht, da er nicht alle Patienten, die er mit Esketamin behandelt habe, über einen längeren Zeitraum verfolge.

Der Haupt-Nachteil einer Infusionstherapie mit Esketamin sei: „Wird die Therapie nach 5 bis 6 Infusionen innerhalb von 2 Wochen gestoppt, erleiden viele Patienten Rückfälle.“

Ziel sei es daher, die Patienten ausschließlich ein- bis zweimal pro Woche mit dem Nasenspray zu behandeln, wie das in den USA nun bereits der Fall sei – in Praxen, die die Kriterien der FDA zur Patientenüberwachung erfüllen.

Sprühen nur unter Aufsicht

Die Patientenüberwachung war eine der Auflagen, an die die FDA ihre Zulassung geknüpft hat. In dem Editorial im NEJM warnt die Behörde vor halluzinogenen Nebenwirkungen von Esketamin, das unter dem Namen „Special K“ als Partydroge gilt. Die Autoren sprechen von „sofortigen und akuten Dissoziationen und Betäubung“ und warnen vor dem Suchtpotenzial eines solchen Mittels.

Bajbouj hat unter seinen Esketamin-Patienten bislang kein Abhängigkeitssyndrom feststellen können. Wie es sich damit auf längere Zeit verhalte, sei aber wichtig zu beobachten – wie in dem Risiko-Management durch die FDA vorgegeben, sagt er. In der Charité sei eine Abhängigkeit, egal welcher Art, ein Ausschlusskriterium für den Erhalt von Ketamin.

Aufgrund eines potenziellen vorübergehenden Blutdruckanstiegs von bis zu 40 mmHg nach der Esketamin-Gabe sei der Blutdruck der Patienten bis 2 Stunden nach Erhalt des Medikaments zu kontrollieren, so die Forderung der Experten der FDA.

„Die FDA hat diesen Risiken die positiven Effekte dieses Medikaments zur Behandlung einer ernsthaften Erkrankung, gegen die man aktuell schwer ankommt, gegenübergestellt und Esketamin zugelassen, mit einer Risiko-Evaluations- und Schadenminderungs-Strategie.“

Diese Entscheidung ermögliche Patienten mit behandlungsresistenter Depression den Zugang zu dem wirksamen Medikament und halte gleichzeitig mögliche Risiken in Schach.

Das Mittel darf nur unter medizinischer Aufsicht abgegeben und angewendet werden, und nur dort, wo Patienten nach der Verabreichung für mindestens 2 Stunden beobachtet werden können, so die Auflage der FDA. Apotheken sei die Abgabe nur an Kliniken gestattet, die bezüglich dieser Strategie zertifiziert seien.

Perspektive der Patienten mitentscheidend

Eine „deutliche Mehrheit des Komitees hat eindeutig für die Zulassung gestimmt“, schreiben die Autoren. Entscheidend für die Zulassung sei die Perspektive der Patienten gewesen, so das FDA-Kollektiv. Man habe etwa das Feedback von Selbsthilfegruppen sowie individuelle Patienten-Aussagen in den Entscheidungsprozess mit einbezogen und sei zu dem Schluss gekommen, dass Patienten mit therapieresistenter Depression dringend neue Behandlungsoptionen benötigen.

 
Es handelt sich schon um eine besondere Substanz, die Patienten helfen kann, aber meiner Meinung nach nicht um die Revolution. Prof. Dr. Malek Bajbouj
 

„Esketamin stellt eine neue Behandlungsmöglichkeit dar für eine ernsthafte und lebensbedrohliche Erkrankung. Die rasche Wirksamkeit ist ein entscheidender Nutzen.“ Das Risikomanagement stelle die sichere Nutzung des Anästhetikums sicher und minimiere das Suchtpotenzial, so Kim und Kollegen.

„FDA hat klug entschieden“

Die Zulassung der FDA mit dieser Art von Risikomanagement sei „eine kluge Entscheidung“, sagt Bajbouj. In den letzten Jahrzehnten seien Innovationen in der Behandlung schwer depressiver Patienten, von denen viele suizidgefährdet sind, Mangelware gewesen.

„Nach dieser langen Durststrecke wurde ein neuer Wirkstoff wie Ketamin zur Behandlung dieser Patienten dringend erwartet und ist auch seitens der Patienten sehr gewünscht.“

In weiteren Studien, sagt Bajbouj, müsse nun untersucht werden, welche Patienten tatsächlich von Esketamin profitieren. Unklar sei bislang beispielsweise, ob das Mittel auch bei Patienten mit affektiven Störungen eingesetzt werden solle. Des Weiteren müsse geklärt werden, ob Esketamin mehr Nutzen bringe als die Augmentation einer bereits bestehenden Therapie mit Antidepressiva, und ob es besser als alleiniges Therapeutikum eingesetzt werde.

In seiner Sprechstunde für therapieresistente Depressionen müsse er aktuell die hohen Erwartungen der Patienten an das Anästhetikum eher drosseln. „Eine Besserung der depressiven Symptome innerhalb von Stunden ist sehr verlockend“, sagt Bajbouj.

„Den allermeisten Patienten aber sage ich: Es gibt in Ihrem individuellen Fall eine bessere Methode.“ Das könne z.B. eine Psychotherapie, ein anderes Antidepressivum oder eine Kombinationsbehandlung sein.
 

Kommentar

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