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Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Kritik am Gesundheitsminister: Kassenchef nennt Methoden von Spahn "rechtsstaatlich bedenklich"

Betriebskassen-Chef Franz Knieps ärgert sich über den Umgang von Jens Spahn mit dem Parlament - und wundert sich, dass keiner dagegen aufbegehrt.

Franz Knieps ist Vorstand des Dachverbands der Betriebskrankenkassen. Vorher von 2003 bis 2009, war der Jurist Abteilungsleiter für Gesundheitspolitik und „graue Eminenz“ im Gesundheitsministerium unter Ulla Schmidt (SPD).

Herr Knieps, in Deutschland müssen selbst schwerkranke Patienten zum Teil jahrelang auf die Entscheidung warten, ob ihre Krankenkasse eine Behandlung zahlen muss oder nicht. Ist das in Ordnung?

Wir hatten Verfahren, wo erst nach acht oder zehn Jahren entschieden wurde. Das ist eindeutig zu lang, normalerweise geht es zügiger. Wenn belegt ist, dass neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden spürbare Vorteile für die gesetzlich Versicherten haben, kommen sie in den Leistungskatalog. Wenn das nicht belegt werden kann, ist es richtig, keine Solidarmittel dafür auszugeben.

Gesundheitsminister Jens Spahn will notfalls im Alleingang darüber befinden, welche Behandlung von den Kassen übernommen wird...

Davon halte ich nichts. Die Entscheidung über Kassenleistungen ist Aufgabe der gemeinsamen Selbstverwaltung, die das nach anerkannten Regeln der evidenzbasierten Medizin beurteilt. Das muss so bleiben. Im Ministerium sitzt dafür gar nicht der Sachverstand. Außerdem ist ein Ministerium deutlich stärker dem Einfluss von Lobbykräften ausgesetzt.

Die Selbstverwaltung mit Gemeinsamem Bundesausschuss entscheidet im Konsens und nach streng wissenschaftlichen Kriterien. Ist dieses Verfahren zu schwerfällig?

Es ist manchmal umständlich, mühselig und langsam. Wenn man zusammenkratzen muss, was an wissenschaftlichen Erkenntnissen auf der Welt vorhanden ist, kann das dauern. Ich finde aber, es ist gut investierte Zeit. Und die Regel ist es nicht. Über einen schnellen Zugang in dringlichen Fällen kann man reden.

Ist es nicht gut, einen Gesundheitsminister zu haben, der verkrustete Strukturen aufbricht?

Es ist gut, einen tatkräftigen Gesundheitsminister zu haben. Auch einen, der im Gesundheitssystem mal durchfegt. Aber wenn man nicht aufpasst, gibt es bei solchem Reinemachen Scherben. Diese Gefahr sollte Jens Spahn beachten.

Erstmals richtig auf die Füße getreten ist Spahn der Selbstverwaltung mit der Vorgabe, in Krankenhäusern eine Mindestquote von Pflegekräften vorzuhalten. War das nicht berechtigt?

Es war berechtigt, dass die Politik hier eingegriffen hat. Fakt ist: Wir haben bei der Pflege in den Krankenhäusern zu lange weggeschaut und uns zu wenig damit auseinandergesetzt, dass die Fallpauschalen dort immer stärkere Rationalisierungseffekte in der Pflege hatten. Bei den Ärzten war das anders, die hatten genügend Lobbypower um sich gegen unerwünschte Entwicklungen zu wehren. Ob es richtig ist, deshalb gleich das ganze Fallpauschalensystem in Frage zu stellen, wie das die Koalition nun tut, wage ich aber zu bezweifeln.

Auch im Streit um die elektronische Gesundheitskarte macht Spahn Dampf. Er will sein Ministerium jetzt mit 51 Prozent zum Mehrheitsgesellschafter der Betreibergesellschaft Gematik machen. Braucht es diesen Druck, weil man bei der Digitalisierung so schwer voran kommt ?

Es braucht Druck der politisch Verantwortlichen, dass wir bei der Digitalisierung endlich zu handhabbaren Anwendungen kommen. Der Weg, uns bei der Gematik zu enteignen und selbst die operative Führung zu übernehmen, birgt für Herrn Spahn aber große Risiken. Und ich habe den Eindruck, dass wir bei der elektronischen Patientenakte, die zum 1.Januar 2021 allen Versicherten zur Verfügung stehen soll, jetzt nur eine Art Holzmodell basteln, um formal die Verpflichtungen zu erfüllen. Und dass wir uns international damit blamieren werden.

Spahn kommt mit einem Gesetz nach dem andern. Haben wir wirklich solchen Reformstau oder ist vieles davon bloß Aktivismus?

Schwer zu sagen. Ich halte schon vieles für reformbedürftig. Aber die Teufel liegen im Detail. Und die kann man nicht mit Populismus vertreiben. Das geht nur Schritt für Schritt durch sorgfältige Gesetzesarbeit, die wie ein kleinteiliges Räderwerk ineinandergreifen muss, beseitigen. Wenn Herr Spahn mit dem Fuß aufstampft, ändert sich dadurch noch nichts im deutschen Gesundheitswesen.

Was genau finden Sie denn populistisch an Spahns Vorstößen?

Etwa seine Vorgaben für längere Öffnungszeiten von Arztpraxen. Es ist doch klar, dass kein Mediziner nur 20 Stunden, sondern im Schnitt weit mehr als 40 Stunden pro Woche arbeitet. Das wird populistisch aufgeblasen. Die dahinterstehenden Probleme von falschen Anreizen im Vergütungssystem und schlechtem Zusammenspiel von ambulanter und stationären Versorgung werden aber nicht angepackt. Weil man sich dafür dann nicht nur mit Kassenärzten, sondern auch mit Kliniken und den bei ihnen involvierten Bundesländern anlegen müsste.

In der vergangenen Woche hat Spahn sein lang geplantes Gesetz zu besserer Terminvergabe und Versorgung von Kassenpatienten durchs Parlament gebracht. Es steckt aber auch voller kurzfristig dazu gepackter Neuregelungen, die mit dem Ursprungsanliegen des Gesetzes nichts zu tun haben. Was halten Sie als ehemaliger Abteilungsleiter im Gesundheitsministerium von solchem Vorgehen?

Auch wir haben unter Ulla Schmidt der Einfachkeit halber schon mal was auf laufende Gesetzverfahren gepackt. Aber von der Quantität her hat das jetzt ganz andere Dimensionen. Wir hätten uns auch nicht getraut, gerade schwierigste und umstrittenste Passagen erst vor der zweiten oder dritten Lesung per Änderungsantrag einzubringen. Oder gar solche, mit denen man vorher gescheitert ist.

Das Problem solch dicker Omnibus-Gesetze ist ja, dass am Ende kaum noch einer weiß, was alles drinsteht. Ist es legitim, die Transparenz so außen vor zu lassen?

Aus meiner Sicht überfordern solche Gesetzesverfahren die Abgeordneten. Ich halte die Methode, die Jens Spahn bei seinem Terminservice- und Versorgungsgesetz praktiziert hat, für rechtsstaatlich bedenklich. Legitimation ergibt sich aus dem Verfahren. Ist es anrüchig und voller Tricksereien, steht auch die Legitimität des Ergebnisses in Frage. Mich wundert, dass die Parlamentsmehrheit das mit sich machen lässt und nicht stärker revoltiert.

Was kritisieren Sie an Spahns Gesetzesarbeit?

Er praktiziert eine Gesetzgebung auf dem Flur. Änderungsanträge gibt es quasi auf Zuruf. Betroffene Verbände haben extrem wenig Zeit, um Stellung zu nehmen. Die Stellungnahmen werden kaum beachtet – und weiter geht die Fahrt. Ein Abgeordneter muss aber die Möglichkeit haben, sich Meinungen einholen zu können. Er muss auch mal den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages fragen können, wenn er Zweifel daran hat, ob eine Maßnahme verfassungskonform ist oder ob sie das erwünschte Ergebnis befördert. Das ist in solchen Verfahren nicht mehr möglich. Und das höhlt ihre Legitimität aus.

Packt Spahn so viel in seine Gesetze, weil er Angst hat, dass die Koalition bald auseinanderfliegt? Oder sehen sie darin Methode, um heikle Dinge besser durchzubringen?

Aus meiner Sicht ist es politische Taktik. Spahn ist ein tatkräftiger Minister mit Ahnung von der Materie. Er will die Beteiligten unter Druck setzen – und zeigen, wer Herr im Haus ist. Das Gesundheitswesen ist aber hochkomplex. Die Prozesse dauern. Und wenn eine Neuregelung im Bundesgesetzblatt steht, heißt das noch lange nicht, dass sie in der Praxis so funktioniert, wie sich der Minister das vorstellt.

Spahn drängt auch darauf, dass die Krankenkassen ihre Finanzreserven abbauen und die Beitragszahler von den Überschüssen profitieren lassen. Was wäre schlimm daran?

Daran ist per se nichts schlimm. Allerdings passen die Vorschriften, die Spahn jetzt gleichermaßen für alle macht, nicht auf kleinere Kassen. Die können einen einzigen extrem teuren Fall bekommen, etwa eine Bluter- oder eine schwierige Krebserkrankung – und die Rücklage, die Spahn ihnen zugesteht, ist in wenigen Monaten verbraucht. Das halte ich für kurzsichtig. Die Aussage von Spahn, dass Krankenkassen keine Sparkassen, seien, finde ich richtig. Und etwas dagegen zu tun, dass sich bei bestimmten Kassen durch Fehler im Risikostrukturausgleich Vermögen anhäuft, ist auch in Ordnung.

Wäre ein Konzentrationsprozess nicht förderlich? Wozu braucht es so viele kleine Kassen?

Bei kleinen Kassen, vor allem, wenn sie nur für eine Firma zuständig sind, ist Krankenversicherung Teil der betrieblichen Sozialpolitik. Und was geht es die Politik an, wie viele Krankenkassen wir haben? Die Versicherten profitieren vom Wettbewerb. Sie werden schon mit den Füßen darüber abstimmen, ob sie ihre kleine Betriebskrankenkasse behalten wollen oder nicht. Und auch wenn kleine Kassen für sich vielleicht nicht so viel leisten können wie die ganz Großen: Im Bündnis miteinander können sie das sehr wohl.

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