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Verschrieben vom Arzt: Gesundheits-Apps sollen Kassenleistung werden.

© Hendrik Schmidt/ dpa

Gesetzentwurf des Gesundheitsministers: Spahn will Ärzte und Kassen zu Digitalisierung zwingen

Gesundheits-Apps und Videosprechstunden: Per Gesetz will Gesundheitsminister Spahn die digitale Patientenversorgung durchsetzen - und droht mit Honorar-Kürzung.

Gesundheits-Apps sollen den Patienten künftig vom Arzt wie Arzneimittel verschrieben werden können. Mediziner werden finanziell motiviert, sich von Karteikarte und Faxgerät zu verabschieden und mehr Videosprechstunden anzubieten. Apotheken und Kliniken müssen sich ebenfalls bis zu einer vorgegebenen Frist in die Telematik-Infrastruktur einklinken. Und Ärzten, die sich solchem Digitalzugang verweigern, drohen harsche Sanktionen: Ab März 2020 soll ihnen das Honorar um 2,5 Prozent gekürzt werden.

"Digitalen Wandel gestalten, nicht erleiden"

Mit all diesen Maßnahmen will Gesundheitsminister Jens Spahn die Digitalisierung im Gesundheitssektor nun massiv vorantreiben. Ziel sei es, „den digitalen Wandel zu gestalten und nicht zu erleiden“, sagte der CDU-Politiker. Die Patienten sollten sich darauf verlassen können, „dass digitale Anwendungen schnell in die Versorgung kommen“ und auch von den Krankenkassen bezahlt würden. Am Mittwoch schickte sein Ministerium den entsprechenden Referentenentwurf „für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation“ in die Ressortabstimmung. In Kraft treten soll das Gesetz, wie es hieß, bereits zum Jahreswechsel.

Das Spannendste daran sind die Pläne für Gesundheits-Apps, denn für diese Anwendungen plant Spahn einen völlig neuen Zulassungsweg. Gewöhnlich entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss aus Ärzten, Klinikbetreibern und gesetzlichen Versicherern darüber, welche Leistungen die gesetzlichen Kassen zu erstatten haben – was oft sehr lange dauert. Für die Apps auf Rezept soll nun aber eine Behörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), zuständig sein. Vorgesehen für die Zulassung wäre dort erst mal nur eine grobe Sicherheits- und Qualitätsprüfung.

App-Hersteller müssen Nutzen erst nach einem Jahr nachweisen

Danach hätten die Kassen die Anwendung ein Jahr lang zu bezahlen – und in dieser Zeit erhielten die Hersteller Gelegenheit für den Nachweis, dass ihr Angebot tatsächlich auch „positive Effekte für die Versorgung“ hat. Gedacht sei dabei vor allem an Anwendungen zur Unterstützung von ärztlichen Therapien, sagte Spahn. Als Beispiele nannte er an digitale Tagebücher für Diabetiker und Apps zur Blutdruckkontrolle oder Schwangerschaftsbegleitung. Wie viel Geld die Hersteller am Ende für ihre App erhalten, müssten sie nach dem Probejahr dann mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aushandeln.

Ein weiterer Schwerpunkt des Gesetzes sind konkrete Vorgaben für die elektronische Patientenakte. Dass sie von den Kassen bis Anfang 2021 flächendeckend angeboten werden muss, hat Spahn bereits gesetzlich vorgegeben. Nun soll es auch die Gewähr geben, dass die digitale Akte benutzt und von den Ärzten gefüllt wird. Die Patienten erhalten einen Anspruch darauf, auch nach Behandlungen im Krankenhaus. Und sie bekommen die Möglichkeit, deutlich mehr darin speichern zu lassen als bisher: ihren Impfpass beispielsweise, ihren Mutterpass, das gelbe Heft für Kinderuntersuchungen oder ihr Bonusheft für Zahnbehandlungen.

Apotheker bekommen Anschlussfrist bis März 2020

Gleichzeitig werden über Ärzte und Zahnärzte hinaus auch Apotheken und Kliniken verpflichtet, sich der entsprechenden Infrastruktur anzuschließen. Apotheker bekommen dafür eine Frist bis März 2020 gesetzt, Krankenhäuser bis März 2021. Anders als bei den Ärzten sind für Verweigerer hier bislang aber noch keine finanziellen Sanktionen vorgesehen. Hebammen und Entbindungspfleger, Physiotherapeuten, Pflege- und Rehaeinrichtungen dürfen sich an der Digitalvernetzung auf freiwilliger Basis beteiligen.

Mediziner dagegen bekommen schon jetzt ein Prozent ihres Honorars abgezogen, wenn sie sich der Digitalisierung verweigern. Stichtag dafür ist der 1. Juli. Und künftig könnte das noch heftiger werden: Wer seine Praxis bis März 2020 nicht mit dem Telematiknetz verbunden hat, kriegt nach Spahns Plänen eine Kürzung von 2,5 Prozent aufgebrummt.

Es gebe, klagte der Minister, nach wie vor „leider eine nicht geringe Zahl“ von Medizinern , die sich nicht anschließen ließen. Dem Vernehmen nach sind bisher nur 64.000 der 176.000 praktizierenden Ärzte und Zahnärzte mit Konnektoren ausgestattet. Bis Ende Juni dürften es, den Bestellzahlen zufolge, rund 110.000 sein. Bleiben gut 50.000, die sich mit der neuen E-Health-Welt offenbar nicht anfreunden wollen.

Weniger Geld fürs Faxen

Um die Ärzte zu mehr Videosprechstunden zu motivieren, sollen sie künftig auf ihrer Internetseite dafür werben dürfen. Zudem soll der Widersinn wegfallen, dass Patienten vor der Nutzung solcher Telemedizin erst mal persönlich in die Praxis kommen müssen, um dort vom Arzt aufgeklärt zu werden und schriftlich in diese Art der Behandlung einzuwilligen. Sogenannte Telekonsile, bei denen sich Mediziner über den Patienten und dessen Therapie digital beraten, sollen extrabudgetär vergütet werden.

Dann bin ich der Patient von gestern - und ich bin es mit Überzeugung. Ich werde mich dem so lange verweigern, wie es mir möglich ist. Wo bleibt das Vertrauensverhältnis zum Arzt, wenn meine persönlichsten Daten frei im Netz kursieren?

schreibt NutzerIn rosalia

Und auch das Versenden elektronischer Arztbriefe will Spahn attraktiver machen. Bisher ist es skurrilerweise so, dass das für Mediziner ein Draufzahlgeschäft ist: Pro Fax bekommen von den Kassen 50 Cent bezahlt, für das Verschicken digitaler Post nur 28 Cent. Künftig werde es fürs Faxen deutlich weniger Geld geben, hieß es.

Er rufe alle Leistungserbringer dazu auf, den digitalen Wandel aktiv zu begleiten und „offen zu sein, für Veränderungen, die ohnehin kommen“, sagte Spahn. „Der Patient von morgen wird immer noch einen Arzt brauchen. Aber er wird keinen Arzt mehr ernstnehmen, der nur noch über Karteikarten arbeitet.“

Krankenkassen sollen in Digitalprojekte investieren dürfen

Und nicht nur den Mediziner will der Minister Lust aufs Digitale machen. Seinem Gesetzentwurf zufolge können und sollen sich künftig auch gesetzliche Kassen mit Kapital an der Entwicklung digitaler Innovationen beteiligen. Sie dürften dafür dann bis zu zwei Prozent ihrer Finanzreserven aufwenden. Wie solche dabei riskante Finanzabenteuer mit Beitragsgeldern verhindern lassen, soll noch geklärt werden.

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