Generalisierte Angststörungen: Netzwerk-Metaanalyse zeigt, welche Medikamente am besten wirksam und verträglich sind

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

28. Februar 2019

Es existiert eine Reihe von effektiven Arzneimitteln, die zur Behandlung generalisierter Angststörungen geeignet sind. Doch welches Medikament ist für den Therapieeinstieg am empfehlenswertesten? Die einschlägigen Leitlinien machen dazu keine Angaben, denn Head-to-Head-Vergleiche der einzelnen Substanzen gibt es nur wenige. Einer aktuellen großen Netzwerk-Metanalyse zufolge bestehen aber durchaus Unterschiede in Wirksamkeit und Verträglichkeit.

Wirksamer als Placebo – und verträglich

Die Arbeit von Dr. April Slee vom Department of Primary Care and Population Health am University College London und ihren Kollegen hebt die Arzneimittel Duloxetin, Pregabalin, Venlafaxin und Escitalopram hervor. „Sie sind wirksamer als Placebo und haben dazu noch ein relativ gutes Verträglichkeitsprofil“, berichten sie in The Lancet  [1]

„Für die Patienten macht es einen Unterschied, ob ein Arzneimittel den Hamilton Anxiety Scale (HAM-A)-Score von 26 auf 10 Punkte senkt oder ob mit einem Medikament üblicherweise (nur) eine Reduktion auf 16 Punkte erzielt wird“, kommentieren Prof. Dr. Borwin Bandelow und Prof. Dr. Dirk Wedekind von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen in einem begleitenden Editorial [2].

Netzwerk-Metaanalyse ermöglicht Ranking

Netzwerk-Metaanalysen sind eine noch recht neue Methode, um eine Rangordnung verfügbarer Therapieoptionen zu bilden, selbst wenn nicht für alle Substanzen Head-to-Head-Vergleiche existieren. Das Prinzip: Wenn Therapie B besser wirkt als Therapie C und Therapie A besser wirkt als Therapie B, dann kann die Netzwerk-Metaanalyse daraus indirekt schließen, dass Therapie A besser wirkt als Therapie C – auch wenn Therapie A und Therapie C nie direkt miteinander verglichen wurden.

Slee und ihre Kollegen screenten 1.992 Studien, die von Januar 1994 bis August 2017 publiziert wurden. Aufgenommen in die Netzwerk-Metaanalyse wurden letztlich 89 randomisiert-kontrollierte Studien mit insgesamt 25.441 Patienten, die mit 22 verschiedenen Wirkstoffen oder einem Placebo behandelt worden waren.

Wirksamkeit und Verträglichkeit

Die primären Endpunkte waren die Wirksamkeit und die Verträglichkeit der Studienmedikamente. Die Wirksamkeit wurde anhand der Veränderung des HAM-A-Scores ermittelt. Die HAM-A ist eine Skala zur Messung von Angstgefühlen, die von den Patienten selbst angegeben werden. Sie reicht von 26 bis 10 Punkten. Ein niedrigerer Score steht für weniger Beschwerden. Die Verträglichkeit der Medikamente beurteilten die Studienautoren anhand der Zahl der Therapieabbrecher.

Im Vergleich zu Placebo senkte Duloxetin den HAM-A-Score um 3,13 Punkte, Pregabalin um 2,79 Punkte, Venlafaxin um 2,69 Punkte und Escitalopram um 2,45 Punkte. Und diese Wirkstoffe waren nicht nur wirksamer als Placebo, sie schnitten auch hinsichtlich der Verträglichkeit recht gut ab.

Auch Mirtazapin, Sertralin, Fluoxetin, Buspiron und Agomelatin – letzteres ist zur Behandlung generalisierter Angststörungen nicht zugelassen – erwiesen sich als wirksam und wurden gut vertragen. Allerdings seien die Ergebnisse zu diesen Substanzen weniger zuverlässig, da sie nur auf kleinen Studien basierten, wie die Autoren einschränken.

Gut wirksam, schlecht verträglich

Quetiapin hatte mit einer Reduktion des HAM-A-Scores um 3,60 Punkte zwar den größten Effekt bei generalisierten Angststörungen, wurde aber schlecht vertragen. Von den mit Quetiapin behandelten Patienten brachen 44% mehr die Studie ab als in der Placebogruppe. Bandelow und Wedekind vermuten, dass dies der Grund dafür sei, dass es weder in Europa noch in den USA zur Behandlung generalisierter Angststörungen zugelassen sei.

Ähnliches gilt für Paroxetin und Benzodiazepine: Sie sind zwar wirksam, wurden im Vergleich zu Placebo aber schlecht vertragen.

Umfassende Übersicht

„Die Stärke der Netzwerk-Metaanalyse von Slee und ihren Kollegen liegt darin, dass sie auch 7 unveröffentlichte Arbeiten eingeschlossen und sich nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch die Verträglichkeit angeschaut haben“, kommentieren Bandelow und Wedekind. Hervorzuheben sei außerdem, dass die Autoren 16 chinesische Studien aufgenommen hätten, für die es keine Publikation in englischer Sprache gebe. So sei zum Beispiel Mirtazapin bei generalisierten Angststörungen nur in China untersucht worden.

 
Die Stärke der Netzwerk-Metaanalyse liegt darin, dass sie auch 7 unveröffentlichte Arbeiten eingeschlossen und sich nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch die Verträglichkeit angeschaut haben. Prof. Dr. Borwin Bandelow und Prof. Dr. Dirk Wedekind
 

Die Autoren um Slee betonen, dass es sich um die größte zeitgenössische Übersichtsarbeit zu pharmakologischen Wirkstoffen in der Behandlung generalisierter Angststörungen handele. Angesichts dessen, dass „mehrere wirksame Therapieoptionen aus verschiedenen Arzneimittelklassen existieren, gibt es keinen Grund, eine pharmakologische Therapiestrategie aufzugeben, wenn ein Medikament anfänglich nicht den gewünschten Erfolg bringt“, betonen sie.

Weitere Option: Kognitive Verhaltenstherapie

Nicht-pharmakologische Therapieoptionen – wie die häufig bei generalisierten Angststörungen angewendete kognitive Verhaltenstherapie – wurden für die Netzwerk-Metaanalyse nicht berücksichtigt. Mit gutem Grund, wie Bandelow und Wedekind erklären: „Eine kognitive Verhaltenstherapie wird meist mit Kontrollen auf der Warteliste verglichen, und dies ist mit einer viel niedrigeren Effektgröße verbunden als Placebo-Kontrollen.“

Wären Wartelisten-Kontrollen und Placebo-Kontrollen in der Netzwerk-Metaanalyse zusammengefasst worden, hätte diese Diskrepanz zu einer Überschätzung dessen geführt, was eine kognitive Verhaltenstherapie bewirken könne. In eigenen Studien, so die beiden Kommentatoren, haben sie beobachtet, dass mit psychologischen Therapien nur 60,4% des Effektes von Medikamenten erzielt werde.

Bandelow und Wedekind kommen deshalb zu dem Fazit, dass „Arzneimittel eine wichtige Behandlungsoption bei generalisierten Angststörungen bleiben … und im Interesse der Patienten die wirksamsten und verträglichsten von ihnen zum Einsatz kommen sollten“.

 

Kommentar

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