Methylphenidat

Von , Apotheker und Pharmazie-Journalist
Mag. pharm. Christopher Waxenegger

Christopher Waxenegger studierte Pharmazie an der Universität Wien. Es folgten die erfolgreiche Fachprüfung für den Apothekerberuf sowie die freie Mitarbeit in einer Arztpraxis mit dem Schwerpunkt Medikationsanalyse. Seit 2020 widmet er sich dem Fachjournalismus und verfasst Sachtexte zu verschiedenen Gesundheitsthemen. Im Urlaub erkundet Christopher gerne die schottischen Highlands und genießt die Ruhe der Natur.

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Methylphenidat gehört zu den bekanntesten Wirkstoffen zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndroms (ADHS). Es verbessert die Kardinalsymptome der ADHS und reduziert aggressives und störendes Verhalten in der Schule. Methylphenidat gilt allgemein als gut verträglich, unterliegt aber wegen des Missbrauchspotentials als Aufputschmittel dem Betäubungs- beziehungsweise Suchtmittelgesetz. Hier lesen Sie alles Wissenswerte zu Methylphenidat, seine Nebenwirkungen und Anwendung!

Kind bei Tabletteneinnahme

So wirkt Methylphenidat

Methylphenidat ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Stimulanzien. Es wirkt als sogenannter Wiederaufnahmehemmer der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin im Gehirn.

Über diese beiden und viele andere Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, kommunizieren die Gehirnzellen miteinander. Neurotransmitter werden je nach Bedarf ausgeschüttet und von den Nachbarzellen über spezielle Andockstellen (Rezeptoren) wahrgenommen. Anschließend werden sie abgebaut oder von der ausschüttenden Zelle wieder aufgenommen. Damit endet die Reizung der Nachbarzelle.

Durch Methylphenidat verweilen die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin länger an ihren Rezeptoren und wirken somit länger. Das führt im Gehirn zu einer anregenden Wirkung, Wachheit, erhöhter Konzentrations- und Leistungsfähigkeit.

Hilfreich bei ADHS

Im Fall von ADHS bedeutet das, dass die Kinder und Jugendliche mithilfe von Methylphenidat besser am Unterricht teilnehmen und sich bei schwierigen Aufgaben länger konzentrieren können. Sie fühlen sich nicht mehr so aufgedreht und abgelenkt. Zudem tun sie sich leichter im Umgang mit anderen Menschen im Rahmen sozialer Aktivitäten.

Insgesamt bessert Methylphenidat alle Kardinalsymptome (Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität, Impulsivität). Sekundär wird aggressives und störendes Verhalten in der Schule reduziert.

Zum Teil bessern sich auch beispielsweise die visuell-motorische Koordination und die Erinnerungsfähigkeit. Man kann aber nicht erwarten, dass Methylphenidat die kognitiven Funktionen generell steigert.

Erwachsenen mit ADHS, die im Gegensatz zu Kindern und Jugendlichen überwiegend mit Ruhelosigkeit, Ungeduld und mangelnder Aufmerksamkeit kämpfen, kann Methylphenidat im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts ebenfalls helfen.

Die von Methylphenidat hervorgerufene Wirkung ist von der Art der Aufgaben beziehungsweise vom Kontext abhängig. Ebenfalls wichtig: Im Gegensatz zur landläufigen Meinung macht Methylphenidat bei korrektem Gebrauch nicht abhängig.

Aufnahme, Abbau und Ausscheidung

Methylphenidat wird nach der Einnahme schnell und vollständig im Darm aufgenommen. In der Leber werden jedoch etwa 75 Prozent des Wirkstoffs abgebaut, bevor sie den großen Blutkreislauf erreichen und im Gehirn wirken können.

Die maximalen Blutspiegel stellen sich etwa ein bis zwei Stunden nach der Einnahme ein. Methylphenidat wird hauptsächlich über den Harn ausgeschieden.

Die Wirkdauer beträgt bei Präparaten ohne verzögerte Wirkstofffreisetzung („Retard-Arzneimittel“) ungefähr eine bis vier Stunden, bei Retard-Arzneimitteln bis zu zwölf Stunden.

Wann wird Methylphenidat eingesetzt?

Methylphenidat ist zur Therapie von ADHS bei Kindern ab einem Alter von sechs Jahren zugelassen, wenn sich andere Maßnahmen als unzureichend erwiesen haben. Manche Präparate sind darüber hinaus für die Behandlung von Erwachsenen mit einer seit dem Kindesalter fortbestehenden ADHS indiziert.

Das Vorbestehen einer ADHS seit dem Kindesalter ist für Erwachsene zwingend notwendig, um für eine Behandlung mit Methylphenidat infrage zu kommen.

Der Wirkstoff wird als Teil eines umfassenden Therapiekonzeptes eingesetzt. Dieses beinhaltet auch psychologische und pädagogische Maßnahmen.

Eine Behandlung mit Methylphenidat ist nicht bei allen Patienten mit ADHS indiziert und wird individuell sorgfältig abgewogen. Die Erst- und Folgeverordnung erfolgt deswegen unter der Aufsicht eines auf die Behandlung von ADHS spezialisierten Arztes, wie zum Beispiel einem Pädiater, Kinder-/Jugendpsychiater oder Psychiater.

Generell erfolgt die Behandlung mit Methylphenidat über einen längeren Zeitraum. In regelmäßigen Abständen wird überprüft, ob das Medikament immer noch notwendig ist. Für Einnahmepausen eignet sich ein schulfreier Zeitraum (z.B. Sommerferien).

So wird Methylphenidat angewendet

Methylphenidat-haltige Medikamente werden als Tablette oder Kapsel eingenommen. Oft ist die Arzneiform pharmazeutisch so modifiziert, dass der Wirkstoff verzögert freigesetzt wird (Retard-Präparate), wodurch die sonst eher kurze Wirkdauer ausgeglichen wird.

Betroffenen nehmen Methylphenidat üblicherweise ein- bis zweimal täglich ein, entweder morgens oder morgens und mittags, um Einschlafstörungen zu vermeiden. Der behandelnde Arzt oder Therapeut verschreibt anfangs die niedrigst mögliche Dosierung und steigert diese dann schrittweise bis zur gewünschten Wirkung.

Generell sollte die Methylphenidat-Dosierung so hoch wie nötig und so gering wie möglich sein. Die maximale Tagesdosis beträgt bei Erwachsenen 80 Milligramm Methylphenidat. Bei Kindern und Jugendlichen sind es 60 Milligramm.

Nehmen Sie die Tabletten oder Kapseln mit oder nach einer Mahlzeit mit ausreichend Flüssigkeit (z.B. einem Glas Wasser) ein.

Welche Nebenwirkungen hat Methylphenidat?

Sehr häufig sind Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit, Nervosität, Konzentrationsmangel, Geräuschempfindlichkeit, Kopfschmerzen und verstärktes Schwitzen.

Manche Patienten berichten auch über unerwünschte Begleiterscheinungen wie Appetitverlust, Gewichtsabnahme, Aggression, Erregung, Ängstlichkeit, Depressionen, Reizbarkeit, Schläfrigkeit und Schwindelgefühle.

Auch Bewegungsunruhe, Herzrasen, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Hautausschläge, Juckreiz, Gelenkschmerzen, Husten, Entzündungen des Nasen-Rachen-Raumes und Fieber sind möglich.

Seltenere Nebenwirkungen finden Sie in der Packungsbeilage Ihres Methylphenidat-Medikaments. Wenden Sie sich an Ihre Ärztin oder Ihren Apotheker, wenn Sie unerwünschte Begleiterscheinungen vermuten.

Wann darf Methylphenidat nicht eingenommen werden?

Methylphenidat darf man im Allgemeinen in folgenden Fällen nicht anwenden:

Wechselwirkungen unter Methylphenidat

Methylphenidat zeigt vergleichsweise wenige Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln. Es wird nämlich unabhängig von einem Enzymsystem verstoffwechselt, das für die Verstoffwechslung der meisten Arzneimittel zuständig ist (Cytochrom P450).

Es gibt Hinweise darauf, dass Methylphenidat den Abbau folgender Substanzen hemmen kann:

  • Gerinnungshemmer aus der Gruppe der Vitamin-K-Antagonisten (z.B. Phenprocoumon)
  • Mittel gegen Depressionen: trizyklische Antidepressiva und selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
  • Mittel gegen Epilepsie: Phenytoin, Primidon und Phenobarbital

Wirkstoffe, die den Blutdruck erhöhen können, sind in Kombination mit Methylphenidat vorsichtig anzuwenden. Gegebenenfalls ist eine Dosisanpassung notwendig.

Gleiches gilt für die gleichzeitige Anwendung mit Medikamenten, die auf den Dopaminhaushalt wirken. Dazu gehören Mittel gegen Parkinson, Psychosen und Schizophrenie sowie Antidepressiva. Ihr Arzt oder Ihre Ärztin wird die bisherige Dosierung womöglich anpassen.

Methylphenidat: Schwangerschaft und Stillzeit

Studien zu mehr als 3700 Schwangerschaftsverläufen haben keinen Hinweis auf ein erhöhtes Missbildungsrisiko bei der Anwendung von Methylphenidat ergeben. Sicherheitshalber raten Experten dennoch davon ab, den Wirkstoff in der Schwangerschaft anzuwenden.

Ist eine ADHS-Behandlung bei Schwangeren dringend notwendig, sollte man vorerst auf besser untersuchte Wirkstoffe wie Bupropion oder Venlafaxin ausweichen.

Methylphenidat wurde in der Muttermilch von Frauen nachgewiesen, die mit dem Wirkstoff behandelt wurden. Ist eine Anwendung notwendig, sollte das Stillkind genau beobachtet werden. Vor allem ist darauf zu achten, dass es regulär an Gewicht zunimmt.

Behandelnde Mediziner wägen bei der Therapieplanung den Nutzen des Stillens für den Säugling und den Nutzen der Methylphenidat-Gabe für die Mutter gegeneinander ab.

So erhalten Sie Medikamente mit Methylphenidat

Methylphenidat ist in jeder Darreichungsform und Dosierung als verkehrfähiges und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel (Deutschland, Schweiz) beziehungsweise Suchtmittel (Österreich) eingestuft.

Dadurch darf es von Medizinern in Deutschland nur auf einem gelben Betäubungsmittelrezept, in Österreich nur mit grüner Suchtgiftvignette und in der Schweiz nur auf einem gesonderten Rezeptformular verordnet werden.

Methylphenidat kann als Aufputschmittel missbraucht werden. Aus diesem Grund fällt es unter die Betäubungsmittel beziehungsweise Suchtmittel.

Seit wann ist Methylphenidat bekannt?

Auf dem deutschen Markt wurde Methylphenidat 1954 eingeführt, zunächst rezeptfrei. Im Jahr 1971 wurde Methylphenidat dann dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt. 

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Christopher Waxenegger
Mag. pharm.  Christopher Waxenegger

Christopher Waxenegger studierte Pharmazie an der Universität Wien. Es folgten die erfolgreiche Fachprüfung für den Apothekerberuf sowie die freie Mitarbeit in einer Arztpraxis mit dem Schwerpunkt Medikationsanalyse. Seit 2020 widmet er sich dem Fachjournalismus und verfasst Sachtexte zu verschiedenen Gesundheitsthemen. Im Urlaub erkundet Christopher gerne die schottischen Highlands und genießt die Ruhe der Natur.

Quellen:
  • Fachinformation zu Methylphenidat-Präparaten (Deutschland), unter: www.dimdi.de (Abruf: 07.04.2023)
  • Fachinformation zu Methylphenidat-Präparaten (Österreich), unter: www.basg.gv.at (Abruf: 07.04.2023)
  • Fachinformation zu Methylphenidat-Präparaten (Schweiz), unter: www.swissmedicinfo.ch (Abruf: 07.04.2023)
  • Faraone, S. V. et al.: The World Federation of ADHD International Consensus Statement: 208 Evidence-based conclusions about the disorder, in: Neuroscience and biobehavioral reviews (2021), 128: 789–818; doi: 10.1016/j.neubiorev.2021.01.022
  • Friese, K. et al.: Arzneimittel in der Schwangerschaft und Stillzeit, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, 8. Auflage, 2016
  • Gerlach, M. et al.: Neuro-/Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter: Grundlagen und Therapie, Springer Verlag GmbH, 3. Auflage, 2016
  • Gründer, G. et Benkert, O.: Handbuch der Psychopharmakotherapie, Springer Verlag GmbH, 2. Auflage, 2012
  • Pharmakovigilanz und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin: Methylphenidat, unter: www.embryotox.de (Abruf: 07.04.2023)
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