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"Keine Behandlung zweiter Klasse"

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Die Vorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung, Doris Pfeiffer.
Die Vorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung, Doris Pfeiffer. © dpa

Doris Pfeiffer, Kassen-Verbandschefin, kritisiert die Ärzte und beklagt die unzureichende finanzielle Ausstattung des Gesundheitsfonds.

Frau Pfeiffer, laut Ulla Schmidt steht die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) prima da. Wird bei Ihnen gefeiert?

Dazu gibt es keinen Anlass. Der GKV drohen im laufenden Jahr Beitragsausfälle in Höhe von 2,9 Milliarden Euro. Dieses Minus wird jetzt noch durch ein Darlehen des Bundes ausgeglichen; 2011 müssen es die Kassen aber zurückzahlen. Auch kennen wir noch nicht die genauen Daten aus dem Gesundheitsfonds - will heißen, wir wissen zwar, wie viel Geld die Kassen bekommen haben. Wir wissen aber nicht, wie viel in den Fonds geflossen ist.

Immerhin will aktuell keine Kasse ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag abverlangen.

Für die Versicherten ist diese Nachricht heute sicherlich gut. Aber was gegenwärtig stattfindet, ist eine Verschiebung finanzieller Lasten auf die Zukunft. Auch wenn das Gesundheitsministerium anderes verbreitet, bleiben wir bei unserer Einschätzung: Im Gesundheitsfonds gibt es eine Unterdeckung. Der angeblich vorhandene Überschuss stützt sich auf einen vorgezogenen Bundeszuschuss, ohne den wir bereits über ein Defizit sprechen würden. Außerdem muss der Fonds Polster aufbauen, was er unter den aktuellen Bedingungen nicht schafft.

Was heißt das für Versicherte?

Ich gehe davon aus, dass die Kassen spätestens 2010 Zusatzbeiträge erheben müssen. Die Kassen stehen im Wettbewerb, keiner will der erste sein. Wenn der Damm aber einmal gebrochen ist, wird es auf breiter Front Zusatzbeiträge geben.

Ließe sich das verhindern?

Ja. Wenn der Beitragssatz angehoben wird oder der Gesetzgeber beschließt, auf die bisher noch vorgesehene Rückzahlung des Bundesdarlehens zu verzichten was wir fordern.

Ulla Schmidt sagt, den Kassen stehe genug Geld zur Verfügung und rät zu einem "effizienten" Umgang mit Beitragsmitteln. Fühlen Sie sich angesprochen?

Es ist eine ständige Aufgabe für die GKV, effizient und sorgsam mit den Beitragsmitteln ihrer Mitglieder umzugehen. Aber gleichzeitig will uns die Politik die eigentlich von den Ländern zu tragenden vollen Kosten für Impfungen gegen die Schweinegrippe im Pandemiefall aufbürden. Erhebliche zusätzliche Ausgaben haben den Kassen auch die Reformen der Regierung im Krankenhaussektor und bei den Honoraren für Ärzte beschert.

Haben Sie mit Genugtuung oder mit Verärgerung auf die Meldung reagiert, wonach die Kassenärzte im ersten Quartal nicht etwa weniger, sondern deutlich mehr verdient haben als 2008?

Zugegeben mit Genugtuung. Wir haben stets darauf hingewiesen, dass wenn 3,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen die Horrorszenarien der Ärztelobby sich als haltlos erweisen werden. Viele Patienten werden lange in Erinnerung behalten, was einige Funktionäre in diesem Frühjahr mit ihrer Propaganda angerichtet haben und was in vielen Praxen stattgefunden hat: dass Kranke weggeschickt wurden, dass unrechtmäßig Vorkasse für Behandlungen verlangt wurde.

Welche Erwartungen knüpfen die Kassen daran, dass zwei Drittel aller Ärzte nun deutlich mehr verdienen als vorher?

Dass sie ihre Patienten gut behandeln. Ich empfinde es als unerträglich, wie einige Mediziner die GKV schlecht gemacht haben und mit deren Versicherten umgesprungen sind. Ärzte sollten nicht vergessen, dass 90 Prozent der Deutschen gesetzlich versichert sind und damit zum überwiegenden Teil ihres Einkommens beitragen. Patienten dürfen bei der Terminvergabe nicht mehr auf den Sankt-Nimmerleinstag vertröstet werden. Es muss Schluss sein damit, dass gesetzlich Versicherten suggeriert wird, Leistungen stünden nicht zur Verfügung und dass sie als Kunden zweiter Klasse behandelt werden. Und sollten Ärzte wieder damit anfangen, Patienten rechtswidrig nur gegen Vorkasse zu behandeln, werden die Kassen dies nicht dulden und darauf dringen, dass den Betreffenden die Zulassung entzogen wird.

Kassenärzte-Chef Andreas Köhler, sagt, die Ärzte hätten erst die halbe Strecke hin zu einer "adäquaten Vergütung" zurückgelegt. Macht Ihnen das Angst?

Schon das aktuelle Durchschnittseinkommen der Ärzte von insgesamt rund 120000 Euro pro Jahr halte ich für ziemlich angemessen. Weitere Erhöhungen über das jetzige Maß hinaus sind nicht vermittelbar. Wie will man auch solche Forderungen gegenüber den Beitragszahlern rechtfertigen, die um ihre Jobs bangen, Gehaltseinbußen hinnehmen und bald auch noch Zusatzbeiträge berappen müssen? Niemand wird gezwungen, Kassenarzt zu sein. Wer sich als Kassenarzt geknebelt und gemartert fühlt, wer meint, er kann privatärztlich besser leben bitte schön!

Interview: Michael Bergius

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