David Graeber: "Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit"

Was Bullshit-Jobs von Scheiß-Jobs unterscheidet

Cover von David Graeber: "Bullshit - Jobs", im Hintergrund ist ein Großraumbüro zu sehen
Cover von David Graeber: "Bullshit - Jobs", im Hintergrund ist ein Großraumbüro zu sehen © Klett-Cotta / picture alliance/dpa / Collage: Dlf Kultur
Von Susanne Billig · 04.09.2018
Was ist schlimmer? Ein sinnvoller Job, der mies bezahlt wird oder ein gutbezahlter aber völlig sinnloser Bullshit-Job? Mit haarsträubenden Fallgeschichten zeigt David Graeber, wie im Neokapitalismus Unternehmen Engagement vortäuschen und Löhne drücken.
Betsys wichtigste Aufgabe im Altersheim besteht darin, die Bewohnerinnen und Bewohner mit Hilfe eines Formulars regelmäßig nach deren Freizeitwünschen zu befragen und die Angaben in eine Computertabelle einzutragen. Sobald sie mit den alten Menschen singt oder kocht, mahnt der Chef sie zur Pflichterfüllung.

Sinnlos, aber gut bezahlt

Mit haarsträubenden Fallgeschichten prall gefüllt hat David Graeber sein fantastisches neues Buch "Bullshit Jobs" – und trifft feine Unterscheidungen: Anders als "Scheiß-Jobs", die sinnvoll, aber mies bezahlt sind, gibt es für "Bullshit-Jobs" meist gutes Geld – nur bleiben sie vollkommen unnütz. "Kästchenankreuzer" wie Betsy helfen ihrem Unternehmen, Engagement vorzutäuschen.
"Flickschuster" löffeln ständig die Suppe aus, die unfähige Chefs ihnen einbrocken. "Aufgabenverteiler" orchestrieren als Manager eine Mitarbeiterschar, die allein besser klarkäme. "Schläger" drängen Kunden schlechte Geldanlagen, Computerprogramme und Versicherungen auf.
Unglücklich sind sie fast alle, auch das arbeitet David Graeber heraus, denn Menschen sind auch bei guter Bezahlung nicht dafür geschaffen, ihr Dasein auf überflüssige Tabellen, Meetings und Personalentwicklungsmaßnahmen zu verwenden.

40 Prozent der Büroangestellten finden ihre Arbeit sinnlos

David Graeber doziert nicht aus den Höhen abstrakter Theorie, sondern nimmt seine Leserinnen und Leser mit auf eine Entdeckungsreise durch die Absurditäten moderner Bürowelten und entwickelt daraus vor unseren Augen verblüffende Analysen. Laut Umfragen sind an die 40 Prozent der Büroangestellten in westlichen Ländern davon überzeugt, dass ihre Arbeit keinerlei Sinn hat. Ein großer weiterer Teil vermutet dasselbe und die vielen Fallgeschichten des Buches sprechen Bände.

Neokapitalistischer Feudalismus

Doch wie konnte es im angeblich so unübertroffen effizienten Neoliberalismus dazu kommen? Kapitel um Kapitel arbeitet sich David Graeber an diese entscheidende Frage heran und verknüpft dabei kühn den Arbeitsbegriff der mittelalterlichen Zünfte, protestantische Ethik, unbezahlte, aber lebenswichtige Frauen- und Betreuungsarbeit (den großen blinden Fleck der meisten Wirtschaftstheorien), den Durchmarsch des Finanzkapitalismus seit den 1980er-Jahren und die computergestützte Automatisierung zu einer überzeugenden Erkenntnis: Im Büroalltag bildet sich längst ein neuer Feudalismus ab, dessen Lebensader Raubzüge auf den Finanzmärkten sind. Früher riss der Adel an sich, was Bauern erwirtschafteten. Heute geht es darum, auf verschleierten Wegen möglichst wenig des erbeuteten Reichtums zu den produktiv arbeitenden Menschen ganz unten zurückfließen zu lassen.

Die Gehälter kleiner Leute klein halten

All die zwischengeschalteten Banker, Anwaltskanzleien, Personalentwickler, Lobbyisten, Strategieberater und ihre umfängliche Entourage sind nur dafür da, die Zeit in die Länge zu ziehen, um währenddessen mit überhöhten Honoraren und Gehältern das abzuschöpfen, was der Krankenschwester, dem Lastwagenfahrer, der Kassiererin am Monatsende fehlt.
Freigeist David Graeber hat es wieder geschafft – er hat einen Pageturner geschrieben, voller Empathie für die kleinen Leute, charmant, profund, radikal.

David Graeber: Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit
Übersetzt von Sebastian Vogel
Klett-Cotta, Stuttgart 2018
464 Seiten, 26,00 Euro

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