Metaanalyse zu Antipsychotika: Kurzzeit-Einnahme erhöht nicht Mortalitätsrisiko – es sei denn, der Patient ist dement

Dr. Ingrid Horn

Interessenkonflikte

17. August 2018

Im Vergleich zu Allgemeinbevölkerung ist die Lebenserwartung von Menschen mit Schizophrenie und anderen schweren psychiatrischen Krankheiten vermindert. Welchen Anteil daran Antipsychotika der zweiten Generation haben, gilt als umstritten. Zumindest für die Behandlung im Akutfall konnte jetzt eine in The Lancet/Psychiatry publizierte, erste umfassende Metaanalyse Placebo kontrollierter Studien zeigen, dass diese Medikamente die Sterblichkeit im Prinzip nicht negativ beeinflussen [1].

„Die Stärke unserer Analyse beruht auf der umfassenden Suche und der daraus resultierenden großen Stichprobe mit Angaben zu 84.988 Patienten“, schreiben Erstautor Dr. Johannes Schneider-Thoma von der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) und seine Kollegen.

An der Datenerhebung und Analyse, die unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Leuchte stand und vom Ministerium für Bildung und Forschung finanziert worden ist, waren außer den TUM-Wissenschaftlern auch Fachleute aus der Schweiz und den USA beteiligt.

Nebenwirkungsarm und sicher

Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg

Diese große Studie unterstreiche die gegenwärtige Bedeutung von Antipsychotika der 2. Generation, stellt Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim gegenüber Medscape fest. „Sie sind derzeit die beste Wahl, denn sie sind ärmer an Nebenwirkungen als Antipsychotika der ersten Generation und können besser auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten hin ausgewählt werden“, so der Mannheimer Psychiater.

 
Im Ganzen betrachtet, verstärkt damit die Münchner Analyse das Vertrauen von Patienten und Ärzten in die Sicherheit dieser wichtigen Therapieform. Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg
 

Sie seien nicht nur, wie aktuell gezeigt, bei kurzzeitiger Einnahme sicher. Auch zahlreiche Beobachtungsstudien mit Einnahmezeiträumen von Monaten oder Jahren hätten keine negativen Einflüsse auf die Sterblichkeit und vereinzelt sogar eine tendenziell verminderte Sterblichkeit erkennen lassen. „Im Ganzen betrachtet, verstärkt damit die Münchner Analyse das Vertrauen von Patienten und Ärzten in die Sicherheit dieser wichtigen Therapieform“, so das Fazit Meyer-Lindenbergs, der auch Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde ist.

Tod war ein seltenes Ereignis

Die Münchner Metaanalyse bezieht sich im Wesentlichen auf die Datensätze von 352 Studien aus den Jahren 1978 bis 2017. Bei 85% der Studien betrug die Behandlungsdauer 13 Wochen oder weniger. „Zwischen der Antipsychotika-Gruppe und der Placebo-Gruppe ergab sich weder für alle Todesfälle (Odds Ratio: 1,19; 95%-Konfidenzintervall: 0,93–1,53) noch für den natürlichen Tod (OR: 1,29; 95%-KI: 0,85–1,94), für Suizid (OR:1,15; 95%-KI: 0·47–2·81) oder andere unnatürliche Todursachen (OR: 1,55; 95%-KI: 0,66–3·63) ein eindeutiger Unterschied“, schreiben die Autoren.

Von den 53.804 mit Antipsychotika behandelten Patienten starben 207 (0,4%), von den 31.184 mit Placebo behandelten Patienten 99 (0,3%).

Die primäre Indikation für Antipsychotika der 2. Generation ist Schizophrenie. Auch für diese Gruppe von Patienten fanden die Autoren kein erhöhtes Mortalitätsrisiko. Ihr Anteil an den untersuchten Studien mache allerdings nur 32% aus, bemängelt Lancet-Kommentator Dr. Faith B. Dickerson vom Sheppard Pratt Health System in Baltimore (USA) [2]. Die Mehrheit der Studien beziehe sich auf Patienten mit anderen Erkrankungen wie bipolare Störungen, Depression und Demenz.

Auch Dickerson bewertet die geringe Zahl an Todesfällen als gute Nachricht, um sie allerdings im Nachsatz gleich wieder zu relativieren: „Die niedrige Mortalität bedeutet jedoch, dass die Schlussfolgerungen der Autoren auf einer kleinen Anzahl beruhen und damit von begrenzter statistischer Aussagekraft sind“, schreibt er.

 
Die eindeutig höhere Sterblichkeit bei dementen Patienten mahnt zur Vorsicht. Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg
 

So ändere der Befund, dass Patienten nicht infolge einer Akut-Behandlung mit Antipsychotika sterben, nichts an der Tatsache, dass bei Patienten mit schweren Psychosen die Lebenserwartung wesentlich geringer sei als die der Allgemeinbevölkerung.

Hohes Alter und Demenz als Risikofaktoren?

Ein differenzierteres Bild zeigte sich bei der weitergehenden Analyse von Untergruppen. Demzufolge konnten die Autoren eine erhöhte Mortalität bei Patienten mit Demenz (OR: 1,56; 95%-KI: 1,10–2,21), bei älteren Personen (OR: 1,38; 95%-KI:1,01–1,89), bei Behandlung mit Aripiprazol (2,20; 1,00–4,86) sowie bei Studien mit einem höheren Anteil von Frauen (Regressionskoeffizient: 0,025; 95%-KI: 0,01–0,04) feststellen. „Die Demenz-Studien hatten jedoch einen hohen Einfluss auf dieses Ergebnis“, schreiben Schneider-Thoma und seine Kollegen. Schlossen sie diese aus, so ergab sich auch für die restlichen Untergruppen kein Unterschied in der Mortalität.

„Die eindeutig höhere Sterblichkeit bei dementen Patienten mahnt zur Vorsicht“, urteilt Meyer-Lindenberg. Diesem Personenkreis sollten diese Antipsychotika deshalb in der Regel nicht verordnet werden, lautet seine Empfehlung.

Auch für Dickerson ist die Tatsache, dass ältere und demente Patienten unter dieser Antipsychotika-Therapie eine höhere Sterblichkeit aufweisen, ein wichtiger Aspekt. Er sieht deshalb Bedarf für weitere Studien, um die Auswirkungen von Antipsychotika der 2. Generation auf diesen Personenkreis näher zu ergründen.

 

Kommentar

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