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Peter Brugger, laut Umfragen glaubt jeder Zweite, dass ein vierblättriges Kleeblatt Glück bringe. Ist das Unsinn?

Nicht unbedingt, ein Talisman kann tatsächlich wirken. Indem er einem Kraft gibt, einen beruhigt – sofern man daran glaubt. Das sieht man auch bei der Wirkung von Placebos – Medikamente, die keinen Wirkstoff enthalten. Sie wirken, weil eben Suggestion funktioniert.

Am Anfang Ihrer wissenschaftlichen Karriere haben Sie selbst auch noch an Telepathie und Hellsehen geglaubt.

Ja, ich war überzeugt, dass da etwas ist, das von Hirn zu Hirn weitergegeben wird. Ich bin deswegen sogar an die Uni gegangen. Immerhin haben auch die amerikanische und die russische Raumfahrtbehörde Experimente gemacht, um mit den Astronauten telepathisch anstatt mit Funktechnik zu kommunizieren. In den 1960er- und 1970er-Jahren glaubten viele an solche übersinnlichen Dinge. Und es wäre ja auch wahnsinnig praktisch, wenn es Gedankenübertragung gäbe.

Und was kam bei den Experimenten heraus?

Nichts, weil da eben nichts ist.

Trotzdem glauben viele Menschen an Übersinnliches, etwa an Kontakte mit Verstorbenen, oder dass man mit einem Pendel eine Aussage machen könne.

Experimentell kann man zeigen, dass es die Leute selbst sind, die das Pendel zum Ausschlagen bringen – auch wenn sie dies selbst nicht wahrnehmen. Viele pendeln über dem Bauch einer Schwangeren, um zu sehen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Irgendwann fängt das Pendel jedoch bei jedem an zu schwingen – auch wenn man nicht daran glaubt. Das sind eben unbewusste Bewegungen, die man nicht kontrollieren kann. Für mich als Forscher ist interessant, zu sehen, was dabei im Gehirn passiert, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Ich verstehe aber auch, dass Leute, die keine wissenschaftlichen Fragen stellen, solche Phänomene einer Kraft von ausserhalb zuschreiben.

Macht es für Sie als Hirnforscher einen Unterschied, ob man an offensichtlichen Unsinn glaubt oder an Gott?

Ich denke schon. Denn der Glaube an paranormale Kräfte hat den Ursprung in körperlichen Phänomenen wie zum Beispiel die unbewussten Bewegungen beim Pendeln, die ein Laie nicht erklären kann und darum mit allerlei abstrusen Ideen deutet. Das hat mit dem Glauben an Gott nichts zu tun, sondern es sind pseudowissenschaftliche Erklärungen.

Untersuchungen zeigen aber, dass bei Nonnen, die im tiefen Gebet Gott zu erleben glauben, auch ganz bestimmte Hirnregionen reagieren. Entsteht Gott also im Gehirn?

Tatsächlich gibt es Hirnforscher, die sogar eine Art «Gott-Modul» im Hirn postuliert haben. Davon halte ich nichts. Das Gebet ist einfach eine Art Meditation. Und die zeigt sich im Scanner als ein bestimmter Hirnzustand – der sieht bei Nonnen, Jogis, Managern oder Atheisten aber gleich aus. Es werden Hirnregionen heruntergefahren, die für das Körperbewusstsein zuständig sind. Daher rührt wohl das Gefühl vom Sichselbst-Auflösen, vom Vereinen mit dem Universum. Bei Gläubigen heisst das dann «Unio mystica», die Vereinigung mit Gott. Sie versuchen das aber nicht wissenschaftlich zu erklären.

Mit solchen Aussagen können Sie vielen Leuten den Glauben zerstören.

Überhaupt nicht. Gottesglaube muss man nicht diskutieren. Er hat damit zu tun, welche Bedeutung man selbst diesem mystischen Gefühl des Entrücktseins zumisst. Das akzeptiere ich. Wenn ich aber einem Esoteriker erklären will, dass es für seine Geister wissenschaftlich korrekte Erklärungen gibt – da mache ich vielleicht schon etwas kaputt. Nähme er sich aber Zeit und studierte die Erklärungen der Neuropsychologie, dann würde auch er zum Skeptiker konvertieren.

Sie haben gezeigt, dass bei Menschen, die an Paranormales glauben, die Gehirnsteuerung anders ist als bei solchen, die nicht daran glauben.

Wir wissen, dass bei einem typischen Rechtshänder die rechte Gehirnhälfte eher assoziativ wirkt. Und wir können zeigen, dass bei Menschen, die an Übersinnliches glauben, diese assoziative Hirnhälfte stärker ist. Diese Menschen erkennen Zusammenhänge, wo keine sind. Vieles, das wir erleben und uns an Übersinnliches glauben lässt, beruht auf Zufällen, die wir kausal verknüpfen. Zum Beispiel, wenn man an eine Person denkt, die man zwanzig Jahre nicht gesehen hat, und just in diesem Moment kommt eine SMS von ihr. Die einen sehen das als Zufall, weil man schon viele Male an jemanden gedacht hat, und es ist dann keine SMS gekommen. Die Esoteriker sehen in dieser Begebenheit ein bedeutungsvolles Zeichen. Tatsächlich ist es aber das Gehirn, das da einen Zusammenhang herstellt.

Warum hat der Mensch denn das Bedürfnis, Dinge als schicksalhafte Fügung anzusehen?

Zusammenhänge zu erkennen, ist lebenswichtig. Zu wissen, dass im Herbst Früchte reif sind oder dass ein herannahendes Auto Gefahr bedeutet. Wer dies nicht zusammenbringt, überlebt nicht lange.

Aber deswegen muss man doch nicht bei einer überraschenden SMS an einen Wink des Schicksals denken.

Wir können experimentell zeigen, dass Leute den Zufällen, die sie selbst erleben, viel mehr Bedeutung zumessen als den zufälligen Erlebnissen anderer. Das heisst, dass das, was einem selbst widerfährt, wohl immer in seiner Bedeutung überschätzt wird. Die Tatsache, dass man im Verlauf des Lebens schon viele Erfahrungen gemacht und viele Zusammenhänge geknüpft hat, führt übrigens auch dazu, dass man mit dem Alter nicht nur religiöser, sondern auch abergläubischer wird. Ich hoffe einfach, dass ich selbst nicht plötzlich im Alter abergläubisch werde.

Dieses Interview entstand im Rahmen der Talk-Reihe «Wissenschaft persönlich» in der Stadtbibliothek Winterthur. Im Gespräch erzählen Menschen aus der Wissenschaft von ihrer Forschung und ihrem Leben.
Die Erstversion dieses Beitrags erschien am 25. November 2016.

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