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Psycho-Terror in Beziehungen: Manipulation bis in den Wahnsinn: So missbrauchen „Gaslighter“ ihre Opfer
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Colourbox.de "Gaslighting" ist eine Form von emotionalem Missbrauch - vor allem in Beziehungen
  • FOCUS-online-Autorin

„Gaslighting“ ist eine besonders starke Form der Manipulation. Betroffene wollen die absolute Kontrolle und manipulieren ihre Opfer solange, bis diese an ihrer Wahrnehmung zweifeln. Auftreten kann das Phänomen nicht nur in Partnerschaften, sondern auch in Familien oder am Arbeitsplatz. FOCUS Online hat bei einer Paartherapeutin nachgefragt.

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Schmeichelnde Worte, ein Kompliment zum neuen Kleid oder Jammern, wo es gar nicht nötig war – um zu bekommen was wir wollen, haben wir alle schon mal unsere Mitmenschen manipuliert. Beim „Gaslighting“ aber gehen die Täter viel weiter: Um die absolute Kontrolle über ihr Opfer zu bekommen, drehen sie Worte im Mund um und manipulieren Gefühle und Wahrnehmung. Die Hamburger Psychologin und Paartherapeutin Dr. Sandra Konrad spricht darüber, wie „Gaslighting“ funktioniert, warum der Täter es braucht und wie sich Opfer daraus wieder befreien können.

FOCUS Online: Was ist „Gaslighting“?

Sandra Konrad: Es ist eine Form von emotionalem Missbrauch. Dabei manipuliert der Täter sein Opfer so, dass es am Ende das Gefühl hat, seine Wahrnehmung stimme nicht mehr. Schlimmstenfalls geht es so weit, dass das Opfer denkt, es sei verrückt geworden, weil ihm ja ständig suggeriert wird: Das, was du denkst, sagst, fühlst oder tust, ist falsch beziehungsweise entspricht nicht der Realität.

Warum heißt dieser psychische Missbrauch „Gaslighting“?

Der Begriff stammt aus dem Jahr 1938 vom Titel des Theaterstücks „Gaslight“ des englischen Dramatikers Patrick Hamilton. Hier wurde diese Art von psychischer Gewalt zum ersten Mal genauer beschrieben.

Das Wort setzt sich aus den englischen Begriffen „gas“ und „lighting“, zu deutsch „Gaslichtern“, zusammen.

FOCUS Online: Welche Beziehungen können davon betroffen sein?

Sandra Konrad: Jede, vor allem aber jene, in denen Loyalität und Hierarchie herrscht oder herrschen soll. „Gaslighting“ kann schon in der Familie anfangen, wenn Eltern ihre Kinder manipulieren, indem sie ihre Wahrnehmung verwirren und ihnen ihre Gefühle absprechen.

FOCUS Online: Auch bei Paaren?

Sandra Konrad: Natürlich, aber auch im beruflichen Kontext. Und natürlich auch auf politischer beziehungsweise gesellschaftlicher Ebene, wie man es in diktatorischen Systemen oft sieht. Wichtig ist: Beim Phänomen des „Gaslightings“ braucht es immer zwei, also den Manipulator und denjenigen, der sich manipulieren lässt. Oft funktioniert das deshalb, weil das Opfer abhängig ist oder dem anderen glauben möchte.

FOCUS Online: Wie sieht das konkret in einer Beziehung aus?

Sandra Konrad: Nehmen wir ein Paar, bei dem einer der beiden – sagen wir mal der Mann – fremdgeht. Die Frau hat schon so eine Ahnung und das Gefühl, es stimmt irgendwas nicht. Sie wirft ihrem Mann vor, abwesend und lieblos zu sein, immer später nach Hause zu kommen, sich nicht mehr für sie zu interessieren. Also fragt sie ihn irgendwann: „Hast du eine Affäre?“ Der Mann, der gerade von seiner Freundin kommt, antwortet: „Du bist ja verrückt! Weißt du eigentlich, was du mir da unterstellst? Du gehörst doch in die Psychiatrie.“ Oft wird nicht nur die Wahrnehmung des Opfers manipuliert, sondern auch seine Gefühle abgewertet mit Sätzen wie: „Du bist einfach viel zu empfindlich. Die anderen denken auch, dass du total übertreibst. Aber keiner traut sich mehr, dir das zu sagen.“ Da das Opfer – in diesem Fall die Frau – ja ein großes Interesse daran hat, dass die Beziehung bestehen bleibt, stellt sie ihre eigene Wahrnehmung zugunsten der Beziehung und der Wahrnehmung beziehungsweise der Lüge des Mannes zurück. Und das ist auch das Problem beim „Gaslighting“: Es geht hier um Macht und Abhängigkeiten.

"Der Täter will sein Opfer isolieren - eine Strategie, die Sekten häufig verfolgen"

FOCUS Online: Stimmt es, dass oft auch noch die Familienangehörigen und Freunde des Opfers mitmanipuliert werden?

Sandra Konrad: Mitunter geschieht auch das, um das Opfer weiter zu isolieren. Die Isolation gehört beim schweren „Gaslighting“ mit dazu, eine Strategie, der sich auch Sekten gern bedienen. Je weniger das Opfer im Kontakt mit der alten Umwelt, der Familie und den Freunden ist, desto mehr Kontrolle kann man über es bekommen. Die zweite Meinung, der fremde, oftmals korrigierende Blick fällt weg, das Opfer wird immer abhängiger vom Täter.  

FOCUS Online: Wer ist besonders gefährdet, Opfer von „Gaslighting“ zu werden?

Sandra Konrad: Menschen mit gutem Selbstwertgefühl werden eher dazu neigen, auf ihre Instinkte zu hören und sich von einem Manipulator abzuwenden oder sich auch Hilfe von außen zu holen. Je unsicherer eine Person ist und je mehr sie dazu neigt, andere zu idealisieren und je abhängiger sie ohnehin von dieser Person schon ist, desto größer ist die Gefahr, Opfer von „Gaslighting“ zu werden.

FOCUS Online: Auch wenn sie verzweifelt sind?

Sandra Konrad: Ja, auf gesellschaftlicher Ebene ist „Gaslighting“ immer dann besonders erfolgreich, wenn Menschen verzweifelt sind und eine Änderung für ihr Leben wünschen, die sie sich aus eigener Kraft nicht zutrauen. Wenn dann ein Messias-Typ kommt, der das Blaue vom Himmel verspricht, wollen die Leute das glauben, auch wenn es jeglicher Realität entbehrt. In den USA sehen wir gerade, wie die große Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit viele Menschen dazu verführt, auf einen Demagogen hereinzufallen. Ähnliches hat es in der Geschichte immer wieder gegeben: Die Idealisierung einer vermeintlich starken Führungsperson, eine übergroße Loyalität, die durch nichts zu erschüttern ist, nicht einmal durch haarsträubende Lügen oder Verbrechen, die im Namen des Führers begangen werden.

Kirsten Nijhof

Die Hamburger Psychologin und Paartherapeutin Dr. Sandra Konrad spricht im Interview über das Phänomen "Gaslighting".

FOCUS Online: Was ist die Motivation des Täters, sein Opfer derart stark zu manipulieren?

Sandra Konrad: In den meisten Fällen geht es um Macht und Kontrolle. Häufig sind Menschen, die so stark manipulieren, narzisstisch gestört und haben ein so geringes Selbstwertgefühl, dass sie es nicht aushalten können, wenn eine andere Meinung oder Wahrnehmung als die eigene im Raum steht. Es geht dem Täter im Grunde um die Abwehr der eigenen Ohnmacht. Also pocht er auf absolute Loyalität und dass seine Autorität auf gar keinen Fall infrage gestellt werden darf – etwas, was er im Gegenzug ja ständig macht.

FOCUS Online: Ist denn dem Täter immer bewusst, was er da tut?

Sandra Konrad: Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich: Vielen ist es tatsächlich nicht bewusst. Sie manipulieren aus dem eigenen geringen Selbstwertgefühl und aus der eigenen Ohnmacht heraus. Andere handeln bewusst und berechnend mit einem kalten Blick auf ihren Vorteil und mitunter auch ohne Rücksicht auf Verluste.

"Am Ende steht ja auch die Angst, den Job zu verlieren"

FOCUS Online: Sie haben gesagt, dass einem das auch im Job passieren kann. Aber wie kann zum Beispiel mein Chef mich derart stark manipulieren? Es gibt doch so viele Menschen, die mir viel näher stehen.

Sandra Konrad: „Gaslighting“ kann in jeder Beziehung stattfinden, die auf Liebe, Hierarchie, Angst und/oder Abhängigkeit basiert. Im Job geht es nicht um Liebe, sehr wohl aber um den Wunsch nach Anerkennung und natürlich sind meist auch Abhängigkeiten und Hierarchien im Spiel und am Ende ja auch die Angst, den Job zu verlieren.

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FOCUS Online: Woran erkenne ich, dass ich manipuliert werde?

Sandra Konrad: Manipuliert zu werden fühlt sich sehr unangenehm an - während eines solchen Gespräches fühlt man sich oft verwirrt, geschwächt, sogar Schwindelgefühle können auftreten. Wenn Sie wiederholt das Gefühl haben, dass Ihnen die Worte im Mund umgedreht werden, wenn Sie feststellen, dass die Worte und Taten des Gegenübers nicht zusammenpassen und Sie immer mit einem Gefühl der Ohnmacht aus dem Gespräch herausgehen - all das sind Hinweise darauf, dass irgendeine Form der Manipulation im Gange ist.

FOCUS Online: Wie kann ich da wieder herauskommen?

Sandra Konrad: Wenn der Täter nicht bereit ist, sein eigenes Verhalten zu reflektieren, wenn er immer wieder Ihre Wahrnehmung abwertet („Du spinnst doch“, „Lass dich mal untersuchen“, etc.) ist es sinnvoll, Abstand von dieser Person zu nehmen. Wer das Gefühl hat, den Kontakt zu sich selbst verloren zu haben, wer unter der Beziehung leidet und merkt, alleine nicht aus dieser Situation herauszufinden, sollte unbedingt Freunde einweihen und professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass ein „Gaslighter“ zwar sehr viel Schaden anrichtet, dass aber sein destruktives Verhalten oft eine Art Überlebensstrategie ist, die in der Kindheit erlernt wurde, eine Art Abwehr, um sich nie wieder klein und ausgeliefert zu fühlen.

FOCUS Online: Es geht also oft um ein Selbstwertgefühl.

Sandra Konrad: Narzissten, die nach außen hin oft selbstbewusst und souverän wirken, leiden in Wirklichkeit unter einem geringen Selbstwertgefühl und brauchen ständige Zufuhr von außen, also Aufmerksamkeit, Lob und Anerkennung, um ihre Unzulänglichkeitsgefühle zu betäuben. Eine Psychotherapie kann helfen, um das Selbstwertgefühl zu stabilisieren und alte Kindheitswunden zu heilen, so dass irgendwann reifere, gleichberechtigtere Beziehungen aufgebaut werden können, in denen die Kontrolle des anderen nicht mehr im Vordergrund steht.

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"Das ist es ja, was der Täter erwartet: hundertprozentige Loyalität"

FOCUS Online: Wie soll ich mich verhalten, wenn ich das Gefühl habe, dass eine Freundin zum Beispiel in ihrer Beziehung Opfer von "Gaslighting" geworden ist?

Sandra Konrad: Unbedingt mit der Freundin im Kontakt zu bleiben und immer wieder fragen, wie es ihr geht. Man sollte vorsichtig die eigene Wahrnehmung offenlegen, zum Beispiel „Ich habe das Gefühl, dass dein Partner ganz schön dominant ist und du gar nicht zu Wort kommst.“ So weiß die Freundin, dass es noch eine andere Meinung gibt, die sie nicht gleich in einen Loyalitätskonflikt bringt. Denn das ist es ja, was der Täter erwartet: hundertprozentige Loyalität.

FOCUS Online: Das Thema "Gaslighting" ist gerade in aller Munde. Nehmen die Fälle denn aktuell zu?

Sandra Konrad: Meiner Meinung nach gab es diese perfide Form der Manipulation schon immer – sowohl in engen Beziehungen als auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Es gibt zum Beispiel seit Jahrtausenden eine eklatante Form des „Gaslightings“, die wir erst seit ein paar Jahrzehnten bewusst wahrnehmen: Sexismus, also die Überzeugung, dass Frauen weniger wert sind als Männer, hat sich bei beiden Geschlechtern so im Hinterstübchen festgesetzt, dass es uns oft immer noch schwerfällt, abwertende Manipulationen zu erkennen und zu stoppen.

Zum Glück sind wir heutzutage viel aufgeklärter und gleichberechtigter und hinterfragen viele dieser ungerechten Strukturen. Genau das braucht es, um „Gaslighting“ zu beenden: Einen kritischen Geist, Selbstbewusstsein und – wenn wir es alleine nicht schaffen, die Hilfe von anderen.

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