Hellblade: Senua's Sacrifice - Review

Von Depressionen & Schizophrenie

Hellblade: Senua’s Sacrifice im Test – Zwischen Wahn & Wahnsinn - Hellblade: Senua's Sacrifice
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Ganze drei Jahre hat Entwickler Ninja Theory an einem Spiel gearbeitet, um psychische Erkrankungen in der Form eines AAA-Titels greifbar zu machen. Dabei herausgekommen ist Hellblade: Senua’s Sacrifice, das gleichzeitig fesselt, aber den Spieler genauso von sich wegstößt: Ein Horror-Trip in die menschliche Psyche, der teilweise mehr Kunst als Spiel sein möchte – und unter diesem Umstand leidet.

Wir sehen uns in Hel

Die Geschichte von Hellblade und Protagonistin Senua basiert auf der nordischen und keltischen Mythologie: Die von der "Dunkelheit" geplagte Senua begibt sich auf eine aussichtslose Odyssee in die Unterwelt "Hel" um die Seele ihres Geliebten Dillions zu retten.

Dabei stellen sich ihr jedoch Götter, Titanen, untote Nordmänner aber allen voran ihr eigener Verstand in den Weg. Senua weiß sich zur Wehr zu setzen, doch gegen die Gefahren der eigenen Psyche ist selbst das schärfste Schwert machtlos.

Senua ist sich in Hellblade selbst der größte Feind.

Senua kann ihrem eigenen Verstand nicht trauen: Was real ist und was nicht, wird in Hellblade oft erst auf dem dritten Blick ersichtlich. Das Spiel selbst ist mir dabei selten eine Hilfe. Es gibt weder ein HUD noch Tutorials für den Kampf oder sonstige Gameplay-Mechaniken.

Senua hat sich mit ihrer Reise nach Hel auf eine gefährliche begeben, bei der ihr nichts geschenkt wird. Auf diese Art und Weise fordert Hellblade und nimmt mich nicht überflüssig an die Hand.

Vergleichbar mit The Legend of Zelda: Breath of the Wild wird Hellblade dadurch zu einer besonders intensiven Erfahrung, die eine gewisse Lernkompetenz des Spielers voraussetzt – woran sich andere Entwickler durchaus ein Beispiel nehmen können.

Den Weg durch den Albtraum "Hel" muss Senua selbst finden.

Verfolgt von den Lebenden… und den Toten

Die Spielwelt von Hellblade ist ein zum Leben erweckter Albtraum: Leere, zerstörte Landstriche sind von Leichen gepflastert und je tiefer sich Senua in die Höhle Hölle des Löwen begibt, desto furchterregender werden ihre Visionen, die sie von Geburt an plagen.

Wie viel sich davon nur in Senuas Verstand abspielt, bleibt der Interpretation des Spielers überlassen: Manchmal verfluchte ich die flüsternden Stimmen, die wirr durcheinander plappernd Senua niemals in Ruhe lassen. Manchmal war ich aber einfach nur froh, nicht alleine ihre Reise in der Dunkelheit fortsetzen zu müssen.

Denn so viele Streiche mir die Stimmen absichtlich oder unabsichtlich spielten, genauso oft retteten sie Senuas Leben, wenn sie panisch auf Feinde hinter ihrem Rücken aufmerksam machten oder den genau richtigen Gedankenanstoß für die Lösung eines Rätsels gaben – sei es durch Hilfsbereitschaft oder Hohn.

Die richtige Balance

Wirklich nötig hat man die Tipps für der Rätsel Lösung allerdings selten: Das Finden von Runen in der Landschaft frustriert nur selten, meistens ist das versteckte Symbol auf dem zweiten Blick zu erkennen. Wirklich kreativ fallen die Rätsel ohnehin nicht aus, viel eher fühlen sie sich wie die Streckung einer bestimmten Gameplay-Passage an.

Teilweise wirkt Hellblade ohnehin mehr wie eine interaktive Erfahrung als ein "richtiges" Videospiel: Senua wandert, schleicht oder läuft durch die stimmungsvolle Unterwelt Hel, lauscht Monologen weiser Mentoren, verstorbener Wegbegleiter und eigener Dämonen.

Die Spielwelt hat Charakter – wenn auch einen sehr verstörenden.

Dafür muss Senua wiederum nicht zu selten zum Schwert greifen: Das Kampfsystem ist simpel und schnell gelernt, fordert aber stets durch anwachsende Gegner-Massen und -Vielfalt. Über die Standards Ausweichen, Angreifen und Blocken braucht man nicht allzu viele Worte verlieren – außer vielleicht, dass es einfach funktioniert und Spaß macht.

Allerdings wird die Positionierung der Kamera oft zu einem Ärgernis, da die gerne im Boden, der Wand oder an untoten Nordmännern festhängt – ein Wermutstropfen, denn nichtsdestotrotz trat ich voller Vorfreude und Anspannung in jede Auseinandersetzung mit den Kreaturen von Hel.

Tritt Senua aber zu oft vor die Tore von Valhalla, wird der Spielstand von Hellblade zurückgesetzt. Soll heißen: Wer zu oft stirbt, muss wieder von vorne anfangen. Damit trieb Senua’s Sacrifice meinen Stresspegel ordentlich in die Höhe, da es tatsächlich um etwas ging. Gleichzeitig fühlte sich so jeder erfolgreiche Kampf wie ein richtiger Sieg an.

Vertrau nur den richtigen Stimmen

Dass ein Triumph gegen psychische Erkrankungen wie Depression oder Schizophrenie oft nur von kurzer Dauer ist, machte mir Hellblade auf schmerzhafte Art und Weise bewusst.

Ich musste lernen, welchen Stimmen in Senuas Kopf ich vertrauen kann und welchen nicht: War gerade noch ein "Dreh um!" oder "Geh weiter" genau der falsche Ratschlag, ist er im nächsten Moment die unverhoffte Rettung vor dem Bildschirm-Tod. Oder aber musste ich im stockdunklen Verlies dem Wind lauschen, um Senuas Weg durch die Dunkelheit zu finden. Dass ich in der Finsternis nie wirklich alleine war, hat mich gleichzeitig beruhigt, aber auch verstört.

Die Stimmen und Geräusche, die Senua auf Schritt und Tritt verfolgen glänzen durch hervorragendes Sound-Design. Vor allem unter einem Headset besticht Senuas Sacrifice durch einen Surround-Sound, der mich selbst fast wahnsinnig machte – aber eben auf eine schöne Art und Weise.

Pro

  • Unglaubliche Atmosphäre
  • Immersion, die ihresgleichen sucht
  • Exzellentes Sound-Design

Con

  • Wenig Spiel für ein Videospiel
  • Häufige, unterfordernde Rätsel

Fazit

Hellblade: Senua’s Sacrifice ist ein ungewöhnliches Spiel, aber manchmal einfach zu wenig Spiel. Viel zu oft wanderte ich nur durch die Gegend, lauschte vielen Stimmen oder suchte die immergleichen Runen in der Landschaft. Die Kämpfe sind zwar genau richtig verteilt, eine andere spielerische Herausforderung als das Balancieren über Abgründe oder der Flucht ins Licht hätten Hellblade allerdings gut getan. Ich hatte das Gefühl, dass Ninja Theory zwar die visuelle und auditive Darstellung von Schizophrenie meisterten, aber damit nichts spielerisch anzustellen wussten. Dafür fasziniert Hellblade durch die Geschichte ihrer Hauptfigur und deren Aufarbeitung. Ich empfehle Senua’s Sacrifice jedem, der seine Gameplay-Ansprüche etwas zurückschrauben kann. Psychologische Erkrankungen sind ein wichtiges Thema, an das sich endlich ein AAA-Spiel herantraut – und diese mit dem richtigen Grad an Respekt und Verständnis aufarbeitet.

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