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Rauchen gefährdet Ihre Arzneimittel-Therapie

12.07.2004  00:00 Uhr

Rauchen gefährdet Ihre Arzneimittel-Therapie

von Petra Zagermann-Muncke, Eschborn

Fast jeder Vierte in Deutschland raucht. Rauchen ruft viele unmittelbare Gesundheitsschäden wie Krebs, Herz-Kreislauf- und Atemwegskrankheiten hervor. Es kann aber auch die Wirksamkeit von Arzneimitteln beeinträchtigen und auf diese Weise mittelbar die Gesundheit gefährden.

Die Zahlen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen sind deutlich: Tabakwaren sind neben Alkohol die am häufigsten konsumierten Suchtmittel in Deutschland. 2002 wurden 145 Milliarden Zigaretten geraucht. Seit 1993 steigt der Zigarettenverbrauch kontinuierlich an.

Toxische Inhaltsstoffe des Tabakrauchs sind unter anderen Nicotin, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) wie Benz[a]pyren, Nitrosamine, aromatische Amine, Dioxine, Formaldehyd, Acetaldehyd, Acrolein, Benzol, Blausäure und Schwermetalle, vor allem Cadmium. Für Interaktionen mit Arzneimitteln sind vor allem PAK und Nicotin verantwortlich.

Enzyminduktion durch PAK

PAK induzieren bestimmte Enzyme mit dem Hämprotein Cytochrom P 450 (CYP) als Cofaktor. Diese sind für den oxidativen Metabolismus körpereigener Stoffe und verschiedenster Substrate wie Nahrungsbestandteile, Umweltgifte und Arzneistoffe verantwortlich. Bislang sind mehr als 150 Isoenzyme charakterisiert, die in 14 Genfamilien eingeteilt und mit arabischen Ziffern benannt werden. Vier von ihnen katalysieren den Abbau von Xenobiotika in der Leber: CYP1 bis CYP4. Eine Familie hat mehrere Unterfamilien, die mit Großbuchstaben bezeichnet werden. Innerhalb der Unterfamilien werden einzelne Enzyme wiederum durch arabische Ziffern unterschieden. So gibt es in der Unterfamilie CYP1A die zwei Isoenzyme CYP1A1 und CYP1A2, die beide durch PAK induziert werden.

CYP1A1 ist bei Nichtrauchern nicht nachweisbar und wird nur bei Rauchern in der Lunge exprimiert. Dabei kommt es bei 21 Prozent der Raucher durch PAK zu einer stärkeren Induktion als bei den übrigen.

 

Tabelle 1: Arzneimittel, die bei Rauchern schneller eliminiert werden (verminderte Wirksamkeit)

Arzneimittel Maßnahme Methylxanthine
Coffein
Theophyllin (zum Beispiel Euphyllin®)
nicht erforderlich
- Patienten mit Bronchialkrankheiten zum Aufhören motivieren
- Theophyllin an Hand von Plasmakonzentrationsbestimmungen dosieren: Erhöhung bis zum Doppelten der üblichen Dosis
- bei Aufgeben des Rauchens allmähliche Dosisreduktion Neuroleptika
Chlorpromazin (Propaphenin®)
Clozapin (zum Beispiel Leponex®)
Fluphenazin (zum Beispiel Dapotum®)
Haloperidol (zum Beispiel Haldol®)
Olanzapin (Zyprexa®) - Neuroleptika individuell dosieren und Dosierungen sorgfältig nach der klinischen Wirksamkeit anpassen; erhöhte Dosen können nötig sein
- bei Aufgeben des Rauchens allmähliche Dosisreduktion Sonstige
Chinin (Chininum hydrochloricum Compretten)
Pentazocin (Fortral®)
Riluzol (Rilutek®)
Tacrin (Cognex®) - individuell dosieren und Dosierungen sorgfältig nach der klinischen Wirksamkeit anpassen; erhöhte Dosen können nötig sein
- bei Aufgeben des Rauchens allmähliche Dosisreduktion

 

Dagegen ist CYP1A2 ein vorwiegend hepatisches Isoenzym, das am oxidativen Metabolismus von Methylxanthinen, einigen Neuroleptika und Antidepressiva sowie weiteren Arzneistoffen, zum Beispiel Methadon, Carbamazepin, 17-Beta-Estradiol, Frovatriptan, Mexiletin, Paracetamol, Pentazocin, Riluzol, Ropinirol, Tacrin, Tamoxifen, Warfarin und Verapamil beteiligt ist.

Die Aktivität von CYP1A2 ist individuell sehr unterschiedlich. Etwa 20 Prozent der weißen Bevölkerung weisen eine geringere CYP1A2-Aktivität auf als die Mehrheit. Diese bimodale Verteilung der Aktivität bezeichnet man als Polymorphismus.

Die Charakteristika der Induktion durch PAK sind noch nicht genau bekannt. Das Ausmaß der Induktion scheint gewebespezifisch zu sein und auch von der Art des Tabaks abzuhängen. Die Anzahl der täglich gerauchten Zigaretten korreliert schwach mit der CYP1A2-Aktivität. Auch bei Passivrauchern, die sich über längere Zeit täglich mehrere Stunden dem Zigarettenrauch exponieren, kann es zu einer Enzyminduktion kommen. Die Enzyminduktion klingt nach dem Aufgeben des Rauchens über mehrere Monate langsam ab.

Einige Uridin-5‘-Diphosphat-Glucuronyltransferasen (UDP-Glucuronyltransferasen) werden ebenfalls durch PAK induziert. Diese Enzyme konjugieren Arzneistoffe beziehungsweise deren Metabolite mit Glucuronsäure und tragen so zur Elimination bei. Auch über diesen Mechanismus scheinen einige Arzneistoffe bei Rauchern schneller eliminiert zu werden.

Theophyllin-Dosis anpassen

Am genauesten beschrieben ist die Interaktion der im Tabakrauch enthaltenen PAK mit Methylxanthinen. Die Theophyllin- und Coffein-Wirkung kann bei Rauchern vermindert sein, weil die beiden Methylxanthine durch das induzierte CYP1A2 schneller eliminiert werden: Bei Rauchern, die im vorangegangenen Jahr täglich mindestens 20 Zigaretten geraucht hatten, wurde eine Theophyllin-Halbwertszeit von 4,3 Stunden gegenüber 7,0 Stunden bei Nichtrauchern gefunden. Starke Raucher benötigen gewichtsbezogen bis zum Doppelten der üblichen Theophyllin-Dosis. In einer anderen Studie wurde die Theophyllin-Halbwertszeit bei Passivrauchern, die im vorangegangenen Jahr täglich mindestens 4 Stunden dem Zigarettenrauch ausgesetzt waren, mit 6,9 Stunden im Vergleich zu 8,7 Stunden bei Nichtrauchern bestimmt. Bei einer Zigarettenrauch-Exposition von 3 Stunden täglich über fünf Tage wurden dagegen keine Unterschiede in der Theophyllin-Kinetik festgestellt. Auch bei ehemaligen Rauchern ist der Theophyllin-Metabolismus noch einige Monate beschleunigt.

Vor allem Asthma-Patienten sollten vordringlich zum Aufgeben des Rauchens motiviert werden. Dabei sollte die Theophyllin-Dosierung nach Plasmakonzentrationsbestimmungen dem Bedarf entsprechend gesenkt werden. Da Nicotin keine Enzyminduktion hervor ruft, muss auch bei der Raucherentwöhnung mit Substitutionspräparaten die Theophyllin-Dosis schon allmählich gesenkt werden.

 

Tabelle 2: Arzneimittel, die bei Rauchern vermehrt unerwünschte Wirkungen hervorrufen können

Arzneimittel unerwünschte Effekte wichtige Risikofaktoren Maßnahme Kontrazeptiva, hormonale erhöhte Thromboseneigung; vermehrt Herzinfarkte und Schlaganfälle Thrombosen in der Eigen- oder Familienanamnese; Lebensalter über 35 Nicht rauchen! Nicotinpräparate zur Raucherentwöhnung wahrscheinlich vermehrt Herzinfarkte und Schlaganfälle vorbestehende Atherosklerose Nicht rauchen!

 

Außer im Zigarettenrauch sind PAK übrigens auch in Gerichten vom Holzkohlengrill enthalten. Bei Personen, die regelmäßig solche Gerichte zu sich nahmen, wurde eine um 22 Prozent erniedrigte Theophyllin-Halbwertszeit gefunden.

Wirkung von Neuroleptika vermindert

Für eine Reihe von Neuroleptika sind bei Rauchern in Einzelfällen klinisch relevante Wirkungsverminderungen beschrieben. Clozapin (zum Beispiel Leponex®), Olanzapin (Zyprexa®), Fluphenazin (zum Beispiel Dapotum®), Haloperidol (zum Beispiel Haldol®) und Chlorpromazin (Propaphenin®) werden durch CYP3A4, CYP2D6, CYP1A2 und/oder durch die UDP-Glucuronyltransferase katalysiert. Die letzten beiden Enzyme werden durch die PAK des Tabakrauchs induziert, so dass die betroffenen Neuroleptika schneller eliminiert werden. Die Enzyminduktion geht nach Aufgeben des Rauchens nur allmählich über Wochen und Monate wieder zurück.

Bei einer festgelegten Dosis variieren die Plasmakonzentrationen vieler Neuroleptika interindividuell beträchtlich. Männer und jüngere Patienten neigen wie Raucher zu niedrigeren Plasmakonzentrationen. Auch besteht oftmals keine strenge Dosis- beziehungsweise Konzentrations-Wirkungs-Beziehung. Psychisch Kranke rauchen etwa doppelt so häufig wie psychisch Gesunde und sind schwerer zum Aufhören zu bewegen. Die Gründe hierfür sind vielfältig: So werden verminderte Neuroleptika-Nebenwirkungen und entspannende oder angstlösende Effekte des Rauchens vermutet.

Arzneistoffe individuell dosieren

Eine verminderte Wirksamkeit bei Rauchern ist auch für weitere Arzneistoffe beschrieben. So können in Einzelfällen klinisch relevante Wirkungsverminderungen bei dem Alzheimer-Therapeutikum Tacrin (Cognex®), dem Opioid-Analgetikum Pentazocin (Fortral®), bei Riluzol (Rilutek®) und dem Malaria-Therapeutikum Chinin auftreten. Die durchschnittlichen Tacrin-Serumkonzentrationen betrugen bei Rauchern nur etwa ein Drittel derjenigen von Nichtrauchern. Die Bioverfügbarkeit von Chinin war bei starken Rauchern im Schnitt auf 44 Prozent vermindert, so dass subtherapeutische Plasmakonzentrationen nicht auszuschließen sind.

Alle betroffenen Arzneistoffe sollen individuell dosiert und die Dosierungen sorgfältig nach der klinischen Wirksamkeit angepasst werden. Es ist damit zu rechnen, dass rauchende Patienten erhöhte Dosen benötigen. Bei Patienten, die das Rauchen aufgeben, ist daran zu denken, dass die Dosierungen eventuell allmählich wieder gesenkt werden müssen.

Eine Wirkungsverminderung durch Enzyminduktion wird bei einer Reihe von weiteren Arzneistoffen auf Grund von In-vitro-Untersuchungen oder experimentellen Studien nicht ausgeschlossen, hat sich bislang aber nicht in klinisch relevantem Ausmaß gezeigt: Benzodiazepine, Carbamazepin, Phenobarbital und Phenytoin, Paracetamol, Codein, Mexiletin, Flecainid, Lidocain, Fluvoxamin, Clomipramin, Imipramin, Nortriptylin.

Vorsicht bei der Nicotinsubstitution

Patienten mit Atherosklerose sollte selbstredend dringend das Aufgeben des Rauchen angeraten werden. Wenn diese Patienten während der Anwendung von nicotinhaltigen Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung weiter rauchen, können vermehrt unerwünschte kardio- oder cerebrovaskuläre Wirkungen auftreten. Nicotin erhöht Herzfrequenz und Blutdruck und wirkt vasokonstriktorisch und möglicherweise auch proaggregatorisch. Beim Rauchen von Zigaretten steigt die Nicotin-Plasmakonzentration innerhalb von 10 min auf Spitzenwerte. Die unerwünschten Wirkungen werden mit den hohen Nicotin-Plasmakonzentrationen in Verbindung gebracht, die unter diesen Umständen auftreten können.

In der Literatur wird über Einzelfälle von Herzinfarkt und Schlaganfall bei Anwendung von Nicotin-Präparaten und gleichzeitigem Rauchen bei Patienten mit Atherosklerose berichtet. Der ursächliche Zusammenhang in diesen Fällen ist aber nicht gesichert.

Mit Beginn der Nicotin-Behandlung sollen vor allem Patienten mit atherosklerotischer Vorschädigung vollständig mit dem Rauchen aufhören. Sie sollen darauf hingewiesen werden, dass ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko besteht, wenn sie während der Behandlung weiter rauchen.

Für Raucherinnen keine Kontrazeptiva

Raucherinnen, die hormonale Kontrazeptiva einnehmen, neigen verstärkt zu Thromboembolien. Ihr Risiko, einen Myokardinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden, ist deutlich erhöht. Welcher Bestandteil des Tabakrauchs diesen Effekt verantwortet, ist ungeklärt. Hormonale Kontrazeptiva erhöhen bereits per se das Thromboserisiko, wobei der Mechanismus nicht genau geklärt ist. Es wird angenommen, dass die kontrazeptiven Estrogene (Ethinylestradiol) das Gefäßendothel derart beeinflussen, dass es zum Tonusverlust und zu venöser Stase kommt. Zusätzlich hemmen die Estrogene und wohl auch einige Gestagene die Fibrinolyse, wahrscheinlich über einen Angriff am aktivierten Protein C (APC). Es handelt sich offenbar eher um einen akuten und daher thrombogenen als um einen atherogenen Effekt. Daher ist das Risiko nach dem Absetzen des Kontrazeptivums nicht mehr erhöht. Ebenso spielt die Dauer des Gebrauchs von hormonalen Kontrazeptiva keine Rolle. Das Risiko steigt jedoch mit dem Lebensalter und der Anzahl der täglich gerauchten Zigaretten sowie der Dauer des Tabakkonsums, möglicherweise auch mit dem Estrogengehalt des Kontrazeptivums.

In einer amerikanischen Studie mit 1976 Frauen zwischen 25 und 49 Jahren war das Risiko, einen Myokardinfarkt zu erleiden, bei Raucherinnen, die hormonale Kontrazeptiva einnahmen, um den Faktor 3,7 (1 bis 24 Zigaretten täglich) beziehungsweise um den Faktor 39 (mehr als 24 Zigaretten täglich) erhöht im Vergleich zu Nichtraucherinnen, die keine hormonalen Kontrazeptiva einnahmen. Ähnliche Zahlen ergaben sich in einer großen, 1997 veröffentlichten WHO-Studie für Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika.

Fazit: Frauen, die hormonale Kontrazeptiva einnehmen, dürfen nicht rauchen. Dies gilt ganz besonders dann, wenn sie über 35 Jahre alt sind. Bei Frauen mit Risikofaktoren für thromboembolische Krankheiten sind hormonale Kontrazeptiva unabhängig von einem eventuellen Tabakmissbrauch kontraindiziert.

Wirkung auf sonstige Arzneistoffe

In der wissenschaftlichen Literatur finden sich weitere Hinweise auf verminderte Wirkungen von Heparin, Insulin und Beta-Blockern bei Rauchern, wofür unterschiedliche pharmakokinetische und pharmakodynamische Mechanismen verantwortlich gemacht werden. Deren Ausmaß ist aber sehr gering und damit klinisch nicht relevant.

 

Anschrift der Verfasserin:
Dr. Petra Zagermann-Muncke
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