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Pharmahonorar für Ärzte Vielen Dank für die Millionen!

Rund 71.000 Ärzte erhielten 2015 Geld von der Pharmaindustrie, die Verstrickungen sind fragwürdig. SPIEGEL ONLINE und "Correctiv" haben eine Datenbank erstellt, mit der Sie Ihren Arzt suchen können.
Von Christina Elmer, Markus Grill und Stefan Wehrmeyer
Bezahlt von Big Pharma: Extra-Geld für Ärzte

Bezahlt von Big Pharma: Extra-Geld für Ärzte

Foto: Tobias Hase/ picture alliance / dpa

Es war ein Kulturbruch: Ende Juni legten 54 Pharmakonzerne erstmals offen, wie viel Geld sie an Ärzte in Deutschland zahlen. 575 Millionen Euro flossen demnach im vergangenen Jahr an mehr als 71.000 Ärzte und Fachkreisangehörige wie Apotheker sowie 6200 medizinische Einrichtungen. Ein knappes Drittel dieser Ärzte hat zugestimmt, dass die an sie geleisteten Zahlungen veröffentlicht werden dürfen.

Nach einer gemeinsamen Auswertung der Daten veröffentlichen SPIEGEL ONLINE und das Recherchezentrum "Correctiv"  nun erstmals eine Datenbank mit den Namen von mehr als 20.000 Ärzten, die im vergangenen Jahr Geld von der Pharmaindustrie erhalten haben. Jeder Internetnutzer kann in dieser Datenbank nun Ärzte nach Namen, Ort und Postleitzahl suchen.

So viel bekamen einzelne Ärzte

Spitzenreiter unter den namentlich bekannten Geldempfängern ist ein Arzt in Essen: Hans Christoph Diener hat im vergangenen Jahr mehr als 200.000 Euro für Vorträge, Beratung, Fortbildungsveranstaltungen und Spesen erhalten. Auf Platz zwei folgt der Bonner Mediziner Jürgen Rockstroh mit 148.000 Euro, auf Platz drei der Bochumer Diabetologe Michael Albrecht Nauck mit 128.000 Euro und auf Platz vier der Diabetologe Thomas Forst aus Mainz mit 100.000 Euro.

Dass diese Ärzte an der Spitze stehen, heißt nicht, dass sie deutschlandweit auch die meisten Zuwendungen bekommen haben. Sie sind nur die Ranglistenführer jener Ärzte, die sich freiwillig an der Initiative beteiligen - und haben damit auch eine wichtige Vorreiterrolle in den Bemühungen um mehr Transparenz.

Einen weiteren Rekord stellte der Internist Jens Schreiber aus Magdeburg auf, er erhielt im vergangenen Jahr Zuwendungen von elf verschiedenen Pharmaunternehmen. Am meisten zahlte ihm Novartis mit 24.000 Euro. Überhaupt ist Novartis Spitzenreiter bei den Zuwendungen an Ärzte: Insgesamt 12,2 Millionen Euro investierte der Konzern im Jahr 2015 allein für Vorträge, Beratungen, Fortbildungen und Reisespesen von Ärzten.

Geld für wertlose Studien

"Die Veröffentlichung wird das Verständnis für die Zusammenarbeit zwischen Arzneimittelherstellern und Ärzten und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit erhöhen", lobte Birgit Fischer anlässlich der Vorstellung der Daten. Sie ist Hauptgeschäftsführerin der Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VfA), der Lobby von Big Pharma in Berlin. "Auf Basis allgemein zugänglicher Zahlen kann die Öffentlichkeit nun nachvollziehen, wie Ärzte und Pharmaunternehmen im Gesundheitssystem zusammenarbeiten."

Leider können wir Ihnen die interaktive Grafik nicht mehr anbieten, die an dieser Stelle eingebunden war. Die Daten weiterhin in gebündelter Form bereitzustellen, ist aus Kapazitätsgründen nicht möglich. Sie finden die Angaben aber auf den Webseiten der Unternehmen, die sich an der Transparenzinitiative beteiligen.

Rund 119 Millionen Euro haben die Pharmafirmen im vergangenen Jahr für Vortragshonorare, Beratungen, Fortbildungen und Reisespesen an Ärzte und Fachkreisangehörige bezahlt. Allein aus diesem Topf flossen im Schnitt 1646 Euro an jeden der Ärzte. Zudem gingen 90 Millionen Euro an medizinische Einrichtungen, etwa für Sponsoring, Stiftungen und Spenden. Und insgesamt 366 Millionen Euro wurden für medizinische Studien auf Ärzte, Fachkreisangehörige, Organisationen und Einrichtungen für medizinische Studien verteilt.

Detaillierte Informationen zu den Studienausgaben verweigern die Firmen: "Man differenziert nicht weiter im Forschungsblock", rechtfertigt sich Birgit Fischer vom VfA. "Das ist eine Entscheidung, die gemeinsam getroffen wurde." Unter die Summe fallen neben Honoraren für klinische Studien jedoch auch Zahlungen für äußerst umstrittene Anwendungsbeobachtungen. Dabei verschreibt ein Arzt seinen Patienten ein Medikament, das bereits auf dem Markt ist, und beantwortet anschließend Fragen etwa zu Nebenwirkungen. Die Studien haben den Ruf, vor allem einem Zweck zu dienen: Ärzte für die Verschreibung eines Medikaments zu bezahlen.

Die Pharmaindustrie argumentiert zwar immer wieder, dass es sich bei Anwendungsbeobachtungen um Forschung handelt. Arzneimittelprüfer wie Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), können darüber jedoch nur milde lächeln. "Diese Studien sind wissenschaftlich wertlos", sagt der IQWiG-Chef. "Sie liefern uns keinerlei Informationen über den Nutzen und die Wirksamkeit eines Medikaments. Deshalb schauen wir sie uns auch gar nicht an."

Unabhängig trotz Zahlungen?

Seit Jahren streiten Experten darüber, welchen Einfluss die Zahlungen der Pharmaindustrie auf die Mediziner haben. Die meisten Ärzte glauben, dass sie unbestechlich seien, auch wenn sie sich von der Industrie sponsern lassen. Legendär ist mittlerweile eine Studie aus einem Krankenhaus in Kalifornien.

Dort wurden die Ärzte gefragt, ob sie bei der Auswahl von Medikamenten durch Pharmareferenten beeinflusst werden. 61 Prozent gaben an, sie ließen sich "gar nicht" beeinflussen. Dann wurden die gleichen Ärzte gefragt, ob sich ihre Kollegen durch Pharmavertreter beeinflussen lassen. Diesmal waren 84 Prozent der Ansicht, dass sich die anderen gelegentlich bis häufig beeinflussen lassen.

In Deutschland untersucht unter anderem Klaus Lieb den Einfluss der Zahlungen. Er ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uni Mainz und sagt: "Wir Ärzte haben bezüglich Interessenskonflikten einen blinden Fleck. Wir lassen uns von der Pharmaindustrie einladen und glauben dennoch, wir seien unabhängig."

In der Fachzeitschrift "Plos One" hat Lieb eine Untersuchung veröffentlicht, die zeigt, dass Ärzte, die häufig Pharmareferenten empfangen, auch mehr Medikamente verschreiben. "Dazu kommt, dass Ärzte, die auf pharmagesponserte Fortbildungen gehen, im Schnitt höherpreisige Präparate verordnen." Zudem betonten industrienahe Ärzte die Vorteile von Medikamenten und neigten dazu, Risiken herunterzuspielen. "Für all diese Erkenntnisse gibt es mittlerweile eine ganz gute Datenbasis", sagt Lieb.

"Purer Aktionismus"

Dass nur 29 Prozent der Ärzte nach den Berechnungen von "Correctiv" und SPIEGEL ONLINE einer Veröffentlichung ihres Namens zugestimmt haben, bedauert Lieb. "Transparenz sieht anders aus", sagt er. "Damit kann man auf der individuellen Ebene nicht viel anfangen."

Peter Sawicki, als ehemaliger IQWiG-Chef viele Jahre lang Deutschlands oberster Arzneimittelprüfer, hält den Transparenzkodex der Pharmaindustrie sogar für puren Aktionismus. "Das ist eine weitere Maßnahme, um sich der Öffentlichkeit als sauber zu präsentieren." Auch er betont, dass die Zahlungen der Pharmaindustrie die Ärzte massiv beeinflussten. Das sei durch eine Vielzahl von Studien erwiesen. "Es wird endlich Zeit, dass wir aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen ziehen und eine pharma-unabhängige Fortbildung für Ärzte begründen", sagt er. "Aber dazu fehlt der politische Wille."

Mitarbeit: Hristio Boytchev, Christoph Henrichs, Simon Jockers, Philipp Seibt, Patrick Stotz, Achim Tack.

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