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Homöopathie in der Kritik Tausendmal gerührt

Dünn, dünner, Homöopathie: In SPD und CDU wächst der Widerstand gegen die Alternativmedizin. Dürfen Krankenkassen bald keine Zuschüsse mehr zahlen für die tausendfach gerührten angeblichen Arzneimittelchen? Die Kritiker müssen sich auf Gegenwind der etwas anderen Pharmalobby einstellen.
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Homöopathie: Der Streit über die angeblichen Wundermittel

Foto: Frank Rumpenhorst/ picture-alliance / dpa/dpaweb

Berlin - Die SPD macht einen Vorschlag, den die CDU so gut findet, dass sie ihn am besten sofort umsetzen will - das hat Seltenheitswert im politischen Berlin. Dass dergleichen auch noch in der Gesundheitspolitik geschieht, in der alles immer Streit auslöst - eigentlich undenkbar. Jetzt aber geht es um Homöopathie. Und da scheinen sich die Experten der großen Parteien plötzlich einig zu sein.

"Man sollte den Kassen schlicht verbieten, die Homöopathie zu bezahlen", sagte Karl Lauterbach, SPD-Obmann im Gesundheitsausschuss des Bundestags, dem SPIEGEL. Die CDU hätte diesen Vorstoß zurückweisen können, was sich angesichts der Beliebtheit der Homöopathie angeboten hätte - doch CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn tat das Gegenteil. Seine Fraktion sei offen dafür, den gesetzlichen Kassen das Bezahlen homöopathischer Therapien zu verbieten, sagte er der "Berliner Zeitung". "Wir haben Wahltarife für Homöopathie seinerzeit auf Wunsch von SPD und Grünen eingeführt. Sollte die SPD veränderungsbereit sein, können wir sofort darüber reden." Spahn benutzt die gleichen Argumente wie Lauterbach. Zahlreiche klinische Studien hätten eine Wirkung homöopathischer Präparate nicht beweisen können, sagte er.

Beide Politiker wissen die Mehrheit der seriösen Wissenschaftler hinter sich. Diese argumentieren sogar noch schärfer gegen die Homöopathie. Jürgen Windeler, der zum 1. September seinen Job als Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) antritt, nennt die Homöopathie im SPIEGEL ein "spekulatives, widerlegtes Konzept". Ein medizinischer Nutzen sei nicht erwiesen. "Dazu muss man auch gar nicht mehr weiterforschen, die Sache ist erledigt", sagte der künftige oberste Medizinprüfer im Land.

Homöopathie in Deutschland beliebt

Findet die Politik nun Mut zu unpopulären Entscheidungen? Ein beachtlicher Teil der Deutschen dürfte von der Aussicht, homöopathische Therapien künftig selbst bezahlen zu müssen, wenig begeistert sein. Die Hersteller homöopathischer Mittel im Bundesverband der Arzneimittelhersteller haben 2009 beim Institut für Demoskopie Allensbach eine Umfrage  in Auftrag gegeben, der zufolge 57 Prozent der Bevölkerung schon mal ein homöopathisches Arzneimittel geschluckt haben. 25 Prozent davon gelten demnach gar als "überzeugte Verwender".

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Bizarre Zutaten: Aus dem Giftschrank der Homöopathie

Foto: Patrick Pleul/ dpa

Gerade unter Prominenten hat die Homöopathie viele Anhänger. Die Schauspielerin Anna Loos zum Beispiel bekennt sich in Klatschblättern zur ihrer Homöopathin, der Modedesigner Karl Lagerfeld nahm mit Hilfe eines Homöopathen angeblich 42 Kilo ab. Doris Schröder-Köpf, Gattin des Ex-Kanzlers, übernahm die Schirmherrschaft des Homöopathie-Weltkongresses, und selbst der Philosoph Peter Sloterdijk preist die Homöopathie als "plausibel und unglaublich in einem, rätselhaft und wirkungsvoll". Auch in der Politik hat die Homöopathie ihre Anhänger - zum Beispiel Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag.

Entsprechend ablehnend reagiert sie auf den SPD-Vorstoß. "Die pauschale Kritik an der Homöopathie verkennt, dass selbst die Schulmedizin in vielen Fällen auf die industrielle Nachahmung von Heilmitteln zurückgreift, die es in der Natur kostenlos gibt", sagte Künast. Das stimmt. Nur was das mit der Kritik an der Homöopathie zu tun haben soll, lässt die Grüne unbeantwortet.

Das Gedächtnis des Wassers

Was Wissenschaftler an der Homöopathie für Unfug halten, sind nicht die eigentlichen Wirkstoffe, sondern wie sie verwendet werden - nämlich erstens extrem verdünnt und zweitens nach dem Grundsatz "Gleiches mit Gleichem" (siehe Kasten links).

Erfunden wurde die Homöopathie vor 200 Jahren in Deutschland von dem Arzt Samuel Hahnemann. Nach seiner Lehre soll ein Patient mit genau dem Wirkstoff behandelt werden, der bei einem Gesunden die gleichen Symptome auslöst. Hat ein Patient also Fieber, sucht der Homöopath nach einem Stoff, der bei Gesunden Fieber auslöst. Der wird dann immer wieder verdünnt - so oft, bis nicht einmal mehr ein Wirkstoffmolekül im Arzneimittel nachweisbar ist.

Dass ein solches Mittelchen wirken kann, halten Naturwissenschaftler schlicht für Aberglauben. Homöopathen sind dagegen überzeugt, Wasser habe ein Gedächtnis - und deshalb funktioniere die Homöopathie.

Alle seriösen Übersichtsarbeiten der vergangenen Jahre haben die Vermutung bestätigt, dass sich der Nutzen der Homöopathie nicht belegen lässt. Die Globuli taugen allenfalls für einen Placebo-Effekt: Die Wirkung basiert auf Einbildung.

Eine weitere mögliche Erklärung ist nach Ansicht von Fachleuten, dass ein Homöopath meist wesentlich länger mit dem Patienten spricht als ein Schulmediziner. Freilich gegen teures Geld.

Kritiker warnen vor gefährlichen Folgen

Im 19. Jahrhundert war die Homöopathie zwar nützlich, aber nur deshalb, weil sie viele Patienten vor den Irrtümern der damaligen Schulmedizin bewahrte. Denn die regulären Ärzte traktierten Kranke mit Einläufen, Aderlässen und ähnlichem gefährlichen Unsinn. Hahnemanns sanfte Medizin konnte die Patienten somit immerhin vor Schlimmerem bewahren.

Gegner der Homöopathie warnen aber davor, dass es heute genau umgekehrt laufen kann - und dass nicht selten Kinder die Folgen tragen. Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen Eltern ernsthafte Erkrankungen ihres Nachwuchses homöopathisch behandeln lassen und eine wirksame schulmedizinische Behandlung ablehnen - mit nicht selten gefährlichen Folgen.

Zwar wird es solches Treiben auch in Zukunft geben, nach dem Willen von SPD-Experte Lauterbach dann aber wenigstens nicht mehr auf Kosten der gesetzlichen Kassen. "Viele Patienten glauben, die Kassen zahlen nur das, was auch nachweisbar hilft", sagte er dem SPIEGEL. Er kritisiert vor allem die Techniker-Krankenkasse und die zahlreichen Betriebskrankenkassen dafür, dass sie die Homöopathie bezahlen: "Die Krankenkassen adeln mit ihrem Vorgehen eine Wundermedizin wie die Homöopathie auch noch."

"Unverantwortlich, den Etat damit zu belasten"

Nicht nur in Deutschland regt sich Widerstand dagegen, dass die Homöopathie vom staatlichen Gesundheitssystem getragen wird. In Großbritannien wird die Auseinandersetzung derzeit noch schärfer geführt. Der Gesundheitsausschuss des britischen Parlaments kam im Februar in einem ausführlichen Bericht zu dem Schluss: "Die Regierung sollte der Bezahlung der Homöopathie durch den National Health Service ein Ende setzen. Denn Placebos sollten nicht routinemäßig aus Kosten des NHS verschrieben werden."

Anfang Mai verschärfte der britische Ärztebund den Ton noch. Homöopathie sei "Hexenzauber", stand in einer Resolution, die von rund hundert Ärzten der British Medical Association in London verabschiedet wurde. "In Zeiten wachsender Geldknappheit ist es unverantwortlich, den Gesundheitsetat mit Ausgaben für Quacksalberei zu belasten."

Auf spaßige Art ging die britische Kampagne "10 hoch 23" mit der Homöopathie ins Gericht. Die Aktivisten versammelten sich Anfang Februar vor Apotheken in einem Dutzend britischer Städte und schluckten gemeinsam gewaltige Mengen homöopathischer Arsen-Präparate.

Es geschah: nichts.

mbe/AP
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