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Debatte um Zusatzbeiträge Kassen werfen Regierung Falschinformation vor

Kampf um die Kassen: Die Bundesregierung nennt den geplanten Zusatzbeitrag einiger gesetzlicher Krankenversicherungen illegal, weil Fristen verletzt würden. Doch die widersprechen - und bezichtigen die Politik, bloß einen Sündenbock für verfehlte Gesundheitspolitik zu suchen.
Apothekerin am Arzneimittelschrank: "Politik sucht einen Schuldigen"

Apothekerin am Arzneimittelschrank: "Politik sucht einen Schuldigen"

Foto: KAI-UWE KNOTH/ AP

Hamburg - Der Streit um die geplanten Zusatzbeiträge bei den gesetzlichen Krankenkassen verschärft sich. Der Spitzenverband der Kassen (GKV) verwahrt sich gegen den Vorwurf der Bundesregierung, die geplante Erhebung von acht Euro monatlich sei rechtswidrig, weil der vorgeschriebene Vier-Wochen-Abstand zwischen Ankündigung und Erhebung nicht eingehalten werde.

"Ab dem Moment, ab dem ein Versicherter von seiner Kasse über den Zusatzbeitrag informiert wird, hat er vier Wochen lang Zeit, von seinem Kündigungsrecht Gebrauch zu machen", sagt Florian Lanz vom GKV-Spitzenverband zu SPIEGEL ONLINE. Das gelte auch, wenn Kassen jetzt einen Zusatzbeitrag zum 1. Februar ankündigen. "Die Mitglieder müssen dann angeschrieben werden, und erst ab diesem Datum läuft die Vier-Wochen-Frist." Wer in der Zeit kündige, müsse dann für die verbleibende Zeit den üblichen Mitgliedsbeitrag zahlen, nicht aber den Zusatzbeitrag.

Lanz widerspricht damit Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner, die zuvor die Pläne der Kassen kritisiert und als rechtswidrig bezeichnet hatte. "Der Zusatzbeitrag darf nicht schon zum 1. Februar 2010 eingefordert werden", sagte die CSU-Politikerin der "Rheinischen Post". Eine Krankenkasse müsse ihre Mitglieder spätestens einen Monat, bevor der erste Beitrag fällig wird, auf die Erhöhung hinweisen.

Die DAK hatte am Montag angekündigt, ab Februar acht Euro extra nehmen zu wollen; sieben weitere Kassen kündigten denselben Schritt an, nannten aber nicht den Februar als Termin. Der Aufschlag muss anders als der normale Beitrag von den Versicherten allein getragen werden.

Kassen sind verwundert

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich einem Zeitungsbericht zufolge verärgert über die acht Kassen gezeigt. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion habe sie angekündigt, man werde sich genau anschauen, was "die Kassen da machen", berichtet das "Handelsblatt" unter Berufung auf Teilnehmer der Sitzung. "In anderen Fällen wäre das ein Fall für das Kartellamt", habe Merkel gesagt. Dem Bericht zufolge zeigte die Kanzlerin Unverständnis dafür, dass gleich mehrere Kassen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hätten, den Zusatzbeitrag von acht Euro zu erheben - obwohl die Situation der Kassen und vor allem ihre Rücklagen sehr unterschiedlich seien.

Tatsächlich hat sich das Bundeskartellamt eingeschaltet. Es lägen mehrere Beschwerden von Verbrauchern vor, die nun geprüft würden, sagte ein Sprecher den "Stuttgarter Nachrichten". Grundsätzlich hätten Krankenkassen als Unternehmen zu gelten und unterlägen mit einigen Ausnahmen dem Kartellrecht. Verbraucherschützer begrüßten die Prüfung genauso wie Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Er sagte der Zeitung, Absprachen über den Zusatzbeitrag dürfe es nicht geben.

Die Kassen reagieren auf den Kartellrechts-Vorstoß dagegen verwundert. "Wir haben gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und dem Bundesversicherungsamt das Defizit geschätzt - es war also allen Beteiligten klar, dass es Zusatzbeiträge geben würde", sagt GkV-Sprecher Lanz. Dass die acht Kassen, die bisher Zusatzbeiträge angekündigt haben, dies gleichzeitig taten, sei ebenfalls verständlich: "Wir waren vom Bundesversicherungsamt aufgefordert, uns bis zum 29. Januar zu erklären. Genau das haben wir getan." Der jetzige Aufschrei mache ihn deshalb etwas "ratlos".

Auch bei der DAK versteht man die Aufregung nicht: "Bei genauer Betrachtung geht die Kartellamtsprüfung ins Leere", sagt Sprecher Jörg Bodanowitz. Die Aufgabe des Kartellamtes sei es, gegen den Verbraucher gerichtete Preisabsprachen zur Profitmaximierung von Unternehmen zu verhindern. "Krankenkassen sind aber Körperschaften öffentlichen Rechts und dürfen keine Gewinne machen, da sie gemeinwohlorientiert sind."

"Die haben großen Mist gemacht"

Das Bundesversicherungsamt, das für bundesweit agierende Kassen den Zusatzbeitrag genehmigen muss, kündigte eine gründliche Prüfung an. Bei der Genehmigung werde man "sehr intensiv prüfen, ob die geforderten acht Euro dem jeweiligen Bedarf angemessen sind", sagte Sprecher Tobias Schmidt dem "Tagesspiegel". Angesichts dieser strengen Prüfung sei "die Verabredung auf ein gemeinsames Vorgehen nicht viel wert". Eine bloße gemeinsame Absichtsbekundung lasse sich den Kassen allerdings kaum verbieten. Schmidt zufolge liegen dem BVA bislang fünf Anträge auf Zusatzbeiträge vor.

Offiziell schweigen die Kassen zu den Vorwürfen gegen sie - inoffiziell wird aber Verärgerung vor allem über die Politik geäußert. "Die haben mit ihrem Gesundheitsfonds großen Mist gemacht und versuchen jetzt, den Ärger auf die Kassen abzuwälzen", sagte ein Insider einer großen Krankenkasse. Die Regierung merke, dass die Leute über die Gesundheitspolitik verärgert seien, und suche in den Kassen einen Schuldigen. Dabei setze man nur um, was der Gesetzgeber beschlossen habe.

"Aktuell entsteht der Eindruck, als sei dies eine Entscheidung der Krankenkassen - das ist es nicht", sagte auch Brigit Fischer, Vorstandschefin der größten deutschen Kasse Barmer GEK, der Tageszeitung "Neues Deutschland". Sie macht offen die Politik für die Einführung der Zusatzbeiträge verantwortlich: "Man lässt die Versicherten in die Situation hineinlaufen, hält die Krankenkassen unter Druck und forciert gleichzeitig ein neues Finanzierungssystem als Lösung - die Kopfpauschale." Das sei Stimmungsmache auf Kosten der Patienten.

sam/dpa-AFX
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